Erfahren Sie von Herrn Dr. Kimmich, Oberarzt der Onkologie am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, alles über die Herausforderungen und Fortschritte in der Behandlung des kleinzelligen Lungenkarzinoms im fortgeschrittenen Stadium. Was bedeutet „Extensive Disease“ und warum wird diese aggressive Form des Lungenkrebses oft erst spät entdeckt? Lesen Sie wie palliative Therapie nicht nur Symptome lindert, sondern auch die Lebensqualität und -dauer der Patienten verbessern kann.
Dr. med. Martin Kimmich, MScIH
Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Thoraxtumore und Oberarzt der Onkologie am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart
Karin Strube
Mitgründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Strube Stiftung
Definition und Charakteristika
Symptome und Diagnostik
Palliative Therapie
Therapieansätze bei Extensive Disease
Behandlung von Metastasen und Lokaltherapien
Operationen
Behandlungseffektivität und Nachfolgebehandlungen
Lebensqualität und Patientenkommunikation
Aktuelle Forschung und neue Therapien
Prävention: Rauchen
Als Extensive Disease bezeichnet man Erkrankungen, die sich über den Entstehungsort in der Lunge deutlich hinaus verbreitet haben. Entweder innerhalb des Brustkorbes durch Metastasen, zum Beispiel in den anderen Lungenflügel oder ausgedehnte Befallsmuster, dass eine lokale Bestrahlung nicht möglich ist. Und insbesondere dann, wenn andere Organe betroffen sind, z. B. durch Tumorabsiedelungen in Leber, Knochen oder Gehirn.
Man muss ein bisschen unterscheiden. Letzten Endes sind auch Lymphknoten-Metastasen, eben Metastasen. Aber wenn es regionale Lymphknoten sind, die beteiligt sind, kann das durchaus noch eine limitierte Erkrankung sein. Im geläufigeren Sinn werden als Metastasen in der Regel Absiedlungen in anderen Organen bezeichnet, die über den regionalen Tumorbereich hinausgehen. Das ist eine Situation, die in aller Regel nicht heilbar ist, und auch nur sehr begrenzt lokal behandelbar ist.
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Mehr InformationenOft hat man tatsächlich keine Chance die Krankheit frühzeitig zu bemerken. Die Ausbreitung verläuft in vielen Fällen zunächst völlig unbemerkt, weil die Lunge innerlich keine Schmerzrezeptoren hat. Wenn Symptome auftreten (Atemnot, Schmerzen oder Bluthusten), führen diese zu einer Untersuchung. Das sind typischerweise allerdings Symptome fortgeschrittener Erkrankungen. Auch von Metastasen spüren viele Patienten zunächst nichts.
Das kleinzellige Lungenkarzinom ist sehr aggressiv, d. h. es verbreitet sich sehr schnell. Typischerweise ist beim kleinzelligen Lungenkarzinom der Anteil der sich in Teilung befindenden Zellen sehr hoch, deutlich über 50%. Es herrscht ein ständig aktives Wachstumsgeschehen. Und diese Tumore neigen sehr stark dazu, Zellen ins Lymphsystem oder in die Blutzirkulation abzugeben und auch relativ frühzeitig zu Tochtergeschwülsten bzw. zu Metastasen zu führen.
In diesem Zustand ist Heilung nicht mehr das Therapieziel. Deshalb spricht man in dem Zusammenhang von einer palliativen Therapie. Was versteht man unter diesem Begriff?
Viele Patienten verbinden das Wort Palliation damit, dass keine aktive, tumorbekämpfende Therapie gemacht wird, sondern eine ausschließliche Symptombekämpfung. Eine Behandlung, die in der allerletzten Behandlungsphase bzw. Krankheitsphase stattfindet.
Im medizinischen Sinn ist das aber nicht so. Als Fachbegriff bedeutet die palliative Therapie jede Therapie, die nicht das Ziel der Heilung hat, sondern das Ziel der Symptomlinderung und das Ziel der Lebensverlängerung. Und die kann sehr substanziell sein. Es ist nicht so, dass palliative Therapien nicht wirksam sind oder keinen Unterschied machen. Es hängt tatsächlich an der Frage des Behandlungsziels. Und wenn die Heilung nicht das angestrebte Ziel ist, ist es im Fachjargon sozusagen eine palliative Therapie.
Immer Chemotherapien, die sich in der Zusammensetzung von der Chemotherapie beim limitierten Stadium nicht unterscheiden. Das sind die gleichen Substanzen. Der Unterschied ist, dass seit einigen Jahren noch eine Immuntherapie dazugegeben wird. Das ist eine Behandlung, die parallel zur Chemotherapie stattfindet. Zeitgleich mit den Chemosubstanzen wird sie als Tropfinfusion verabreicht, wirkt aber ganz anders.
Chemotherapien sind chemische Substanzen, die in die Zellteilung eingreifen, die sich teilende Zellen stören und dadurch häufig zu solchen Selbstzerstörungsprogrammen in der Zelle führen. Die Zelle, die sich eigentlich teilen will und darin gestört wird, zerstört sich dann selbst.
Die Immuntherapien sollen wiederum das eigene Immunsystem in die Lage versetzen, den Tumor zu erkennen und anzugreifen. Und diese beiden Therapieprinzipien können sich ergänzen.
Das ist beim kleinzelligen Lungenkarzinom nicht so entscheidend. Auch beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom ist es so, dass mittlerweile, gerade in Kombination mit Chemotherapie, die Immuntherapie unabhängig von diesem sogenannten PD-L1 Wert eingesetzt werden kann. Allerdings mit unterschiedlicher Effektivität.
Es gibt einen Marker, der die Immunreaktivität des Tumors messen kann, der aber nicht 100% verlässlich ist: Wenn er nicht nachweisbar ist auf den Tumor, heißt es nicht, dass die Immuntherapie nicht wirken kann und wenn er sehr stark nachweisbar ist auf den Tumor, heißt das leider auch nicht, dass die Immuntherapie immer wirkungsvoll ist. Aber er ist ein Hinweis darauf, wie stark die Immuntherapie wirksam sein kann. Aber diese Marker sind beim kleinzelligen Lungenkarzinom noch weniger aussagekräftig. Sie werden praktisch nicht verwendet. Das ist ein Marker, der beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom durchaus eine Rolle spielt. Beim kleinzelligen würde man den nicht groß in Betracht ziehen, sondern die Immuntherapie auf jeden Fall im fortgeschrittenen Stadium dazugeben. Es sei denn, es bestehen besondere Risiken gegen Immuntherapien.
Die Immuntherapie beim kleinzelligen Lungenkarzinom hat nicht die deutliche Wirkung, die sie beim nicht-kleinzelligen, unter Umständen auch als Einzeltherapie (Mono-Immuntherapie ohne Chemotherapie) haben kann. Die Option „nur Immuntherapie“ hat man beim PD-L1 hochexprimierten, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom und nicht beim kleinzelligen Lungenkarzinom.
Die Immuntherapie ist nicht so stark, sondern wirkt nur als Verstärkung der Chemotherapie und wirkt auch da vor allem im Langzeitauskommen der Behandlung. In den ersten Monaten der Behandlung sieht man in den großen Studien, die dazu gemacht worden sind, keinen großen Unterschied zwischen „nur Chemo“ und Chemo-Immun. Aber bei einem bestimmten Anteil an Behandelten führt die Immuntherapie zu einer längeren Remission, also Rückbildung des Tumors ohne erneutes Wachstum.
Wenn das Ausmaß der Erkrankung festgestellt wurde, fängt man in der Regel beim kleinzelligen ausgedehnten Lungenkarzinom so schnell wie möglich mit einer solchen Systemtherapie, standardmäßig Chemo-Immuntherapie, an. Die Ansprechrate, die Wahrscheinlichkeit, dass der Tumor kleiner wird und positiv auf die Behandlung reagiert, ist sehr gut.
Wenn bestimmte Symptome (Schmerzen, Atemnot oder Hirnmetastasen) vorhanden sind, kann man in der Regel erst die Reaktion auf die Chemotherapie abwarten und muss nicht sofort mit einer Lokaltherapie anfangen.
Gerade bei Hirnmetastasen hat man früher anders gehandelt. Oft wurde direkt mit der Bestrahlungstherapie begonnen. Heute tendiert man dazu, so schnell wie möglich mit einer Systemtherapie zu starten. Dann kann man vorerst auf Lokaltherapien verzichten, weil sich der Tumor so schnell zurückbildet, dass die Dringlichkeit einer Lokalbehandlung nicht mehr besteht.
Trotzdem gibt es bestimmte Situationen, in denen im Verlauf der Behandlung eine Lokaltherapie dazu genommen wird, wenn zum Beispiel die Rückbildung des Tumors nicht optimal ist oder wenn lokale Symptome vorhanden sind, die nachhaltig verlässlich behandelt werden sollen. Wenn Gefäße komprimiert werden, eine sogenannte Einflussstauung besteht und der Venenabfluss Richtung Herz nicht mehr normal funktioniert, kombiniert man nicht selten eine Strahlentherapie hinzu. Wenn Hirnmetastasen sehr ausgedehnt sind und ein erneutes Wachsen verhindert werden soll, kommt eine Gehirnbestrahlung in Frage. Immer abhängig davon, wie effektiv und wirksam die Systembehandlung (Chemo-Immunbehandlung) ist.
Bei Knochenmetastasen stabilisieren sich häufig die Knochen unter der Systembehandlung. Sie verkalken und werden härter und dann hören die lokalen Beschwerden oft auf. Aber wenn ein Knochen durch eine Metastasierung sehr stark betroffen ist und gewichttragend ist (z. B. Oberschenkel) macht man häufig eine lokale Bestrahlung, um den Heilungsprozess an der Stelle zu beschleunigen und noch verlässlicher zu machen, damit es nicht etwa zu Brüchen kommt.
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Eigentlich nie. Abgesehen von stabilisierenden Operationen am Skelettsystem. Diese haben nicht den Sinn, den Tumor zu entfernen, sondern Brüche vorzubeugen, etwa einen Knochen so zu stabilisieren, dass nichts passiert.
Hochaggressive Tumoren haben einen hohen Anteil sich teilender Zellen, die mit den Therapien zum Großteil zugrunde gehen. Aber es werden nie alle Zellen zerstört und deshalb kann das Nachwachsen verbliebener Zellen relativ schnell gehen. Die ruhige Phase, in der die Patienten keine Therapie brauchen und das Ergebnis der Behandlung der Chemo-Immuntherapie stabil bleibt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Kann leider auch sehr kurz sein. Manchmal ist schon nach wenigen Wochen wieder ein erneutes Wachstum festzustellen. In manchen Fällen ist es zum Glück auch länger, aber dass man Jahre keine Behandlung mehr braucht, gibt es nur in ganz wenigen Ausnahmefällen.
Dann spielen lokale Therapien (insbesondere Bestrahlungstherapien) eine Rolle. Je nachdem wo das Tumorwachstum stattfindet, kann lokal bestrahlt und die Zeit bis zur nächsten Chemotherapie etwas verlängert werden.
Es kommen auch andere Chemotherapie-Substanzen infrage. Da unterscheidet man je nach der Dauer der therapiefreien Zeit. Wenn eine erste Therapie sehr effektiv war und über sechs Monate hinaus zu einer Rückbildung des Tumors geführt hat, kann man auch versuchen, die bereits angewandte Therapie wiederholt anzuwenden.
Ein weiteres Verfahren der Verlängerung der Behandlung ist, dass man nach Abschluss der Chemotherapie (maximal sechs Mal) die begleitende Immuntherapie nicht unterbricht, sondern fortsetzt. Die Fortsetzung der Immuntherapie ist eigentlich üblich, um eine Verlängerung der chemofreien Zeit zu erreichen. Wenn das gut gelingt, kann die Erstlinien-Therapie noch mal eingesetzt werden, manchmal mit sehr gutem Erfolg. Wenn das nicht mehr gut funktioniert, muss man das Präparat wechseln. Da wurden in den letzten Jahren weitere Substanzen geprüft, die aber leider keinen großen Unterschied gemacht haben. Also gibt es eine Standard-Substanz, die eingesetzt wird. Diese ist in letzter Zeit nicht durch Neuerungen abgelöst worden. Es gibt ein paar ältere Substanzen, die man auch noch anwenden darf. Da unterscheidet man die sogenannten Chemotherapie-sensiblen-Erkrankungen, bei denen Chemotherapie zu einer Verbesserung führt, von denen nicht-Chemotherapie-sensiblen-Erkrankungen, bei denen der fortdauernde Einsatz von Chemotherapien irgendwann keinen Sinn mehr macht, weil es eigentlich mehr zu einer Belastung als zu einem Vorteil der Therapie führt.
Es ist wichtig eine gute Balance zwischen der Lebensqualität und den Nebenwirkungen der diversesten Therapien zu finden.
Gespräche zwischen Arzt und Patient während der Behandlung sind sehr wichtig. Die werden immer wichtiger, je fortgeschrittener die Behandlungssituation ist. Gerade bei den Folgetherapien sind die Ansprechraten (Behandlungseffektivität) viel schlechter als bei der ersten Behandlung. Das Gespräch ist notwendig, um auch die Ziele der Patienten zu erkennen. Diese sind ganz unterschiedlich. Viele Patienten wünschen sich, einen Gang zurückzuschalten und nicht direkt die nächste Therapie anzufangen. Andere sind daran interessiert, alles Mögliche einzusetzen. Dem einen ist die Lebensqualität besonders wichtig, dem anderen ist die Lebenszeit wichtig oder ein bestimmter Termin, der unbedingt erlebt werden will, z. B. Geburtstag, Hochzeit, irgendetwas, was einen großen Stellenwert hat. Über diese Dinge muss man unbedingt sprechen.
Die unterschiedliche Verträglichkeit der Behandlung muss auch hinterfragt werden. Viele Patienten denken, dass sie durch die Chemo durchmüssen. Aber der Alltag der Patienten sollte trotzdem akzeptabel sein.
Deshalb die konkrete Nachricht an die Patienten: Bitte sprechen Sie mit Ihrem Arzt und sprechen Sie darüber, was verträglich ist und welche Ziele Sie haben. Die Chemotherapie darf keine Tortur sein. Sie soll Symptome lindern und die Lebensqualität verbessern. Und wenn sie das nicht kann, dann muss man sie in Frage stellen und unter Umständen aufhören.
Atemnot ist ein wichtiges und einschneidendes Symptom bei Lungenkrebs-Erkrankungen. Zuerst muss herausgefunden werden, was die Atemnot auslöst. Es kann unterschiedliche Ursachen dafür geben. Sehr häufig sind Pleura-Ergüsse (Wasser im Rippenfellraum). Das kann man häufig sehr gut behandeln.
Die Atemnot kann auch durch Tumore ausgelöst werden, die die zentralen Atemwege verlegen. Auch da kann man oft eingreifen, sei es durch Interventionen bei der Bronchoskopie (Lungenspiegelung) oder durch Bestrahlungstherapien. Die Diagnostik spielt eine große Rolle, um herauszufinden mit welchen Möglichkeiten die Atemnot gelindert werden kann.
Kann sie nicht durch Eingriffe gelindert werden, muss man sie trotzdem auch im Alltag erträglich machen, sei es durch Sauerstoffversorgung im ambulanten Bereich oder durch bestimmte Schulungen. Es gibt z. B. eine Atemnotsprechstunde/Atemnotambulanz, bei der Patienten und deren Angehörige geschult werden: Wie gehe ich mit solchen Atemnot-Attacken um? Was mache ich als allererstes? Welche Medikamente können mir helfen? Wie kann ich die Panik, die typischerweise aufsteigt, bekämpfen und wie komme aus dieser Angstspirale raus? Da gibt es bestimmte Techniken, die man üben und lernen kann, um besser damit umzugehen.
Palliative Betreuung bei Tumorpatienten, speziell bei Lungenkrebspatienten, ist ganz wichtig und sollte parallel zur aktiven Therapie laufen. Es sollten die Krankheitssymptome erfasst werden, um festzustellen, wie stark die Patienten durch die Erkrankung belastet sind um frühzeitig mit entsprechenden Behandlungsmethoden einzugreifen, sei es gegen Atemnot oder auch gegen Schmerzen und natürlich auch, was die psychische Belastung angeht und die sozialen Auswirkungen im Bereich der Arbeit, der Familie usw. Das gehört alles mit zur Behandlung, die eigentliche Tumortherapie (Chemo-Immuntherapie) ist nur ein Teil, auch wenn man sich stark darauf konzentriert. Alles drumherum macht die Gesamtbehandlung aus.
Die Forschungsanstrengungen sind groß und in den großen Pharmakonzernen gibt es einiges an neuen Substanzen, die beim kleinzelligen Lungenkarzinom an Bedeutung gewinnen könnten. Aber in den letzten Jahren war es sehr schwierig, Fortschritte zu erzielen. Es gab viele Enttäuschungen und Fehlschläge von Substanzen, auf die man gehofft hatte und die sich in den größeren Studien doch nicht als wirksam erwiesen haben.
Im Bereich der Immuntherapie gibt es einige Neuentwicklungen, von denen man sich auch Anwendbarkeit beim kleinzelligen Lungenkarzinom erhofft, zum Beispiel die bispezifischen Antikörper (Link auf unseren Film), die Immunzellen in die Nähe des Tumors bringen sollen durch eine bestimmte Konstruktion von Antikörpern. Da gibt es erste Studienergebnisse, die vielversprechend aussehen.
Es gibt die Antikörper-Drug (Antibody drug Konjugate), bei denen bestimmte Chemosubstanzen direkt an ein immunologisches Molekül (Antikörper)