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Warum sind Krebszellen so gefährlich?

Wie werden Krebszellen überhaupt zu Krebszellen? Was passiert bei einer normalen unschuldigen Zelle, die plötzlich bösartig wird und es schafft, sich in unserem Körper einzunisten?

Antworten zu diesen Fragen gibt Herr Professor Kopp in diesem Interview.

Prof. Dr. med. Hans-Georg Kopp

Chefarzt der Onkologie am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart

Karin Strube

Mitgründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Strube Stiftung

Inhaltsverzeichnis

  • Häufigkeit von Krebsarten:
    • Prostatakrebs bei Männern und Brustkrebs bei Frauen sind sehr häufig. Diese Krebsarten sind besonders hormonabhängig, was ihre hohe Inzidenz erklärt.
    • Mit steigendem Alter erhöht sich generell das Krebsrisiko.
  • Karzinome:
    • Karzinome sind Krebstypen, die von Haut- oder Schleimhäuterschichten ausgehen (z.B. Dickdarm, Brustdrüse, Prostatadrüse).
    • Sie sind die am häufigsten vorkommenden malignen Erkrankungen.
  • Leukämien, Lymphome und Sarkome:
    • Leukämien und Lymphome entwickeln sich aus Blutzellen, während Sarkome aus Bindegewebe, Fettgewebe, Knorpel und Knochen entstehen.
    • Sarkome sind seltener und treten mit anderer Altersverteilung auf, häufiger bei Kindern als Karzinome, die meist durch äußere Schadstoffe wie Tabakrauch verursacht werden.
  • Erklärung der Krebsbezeichnungen:
    • Die Namen der Krebsarten orientieren sich an der zellulären Herkunft und Morphologie (z.B. „Adeno“ für drüsige Strukturen, „Hepato“ für Leberzellen, „Lympho“ für Lymphozyten).
    • Pathologen benennen die Krebsarten nach der Erscheinungsform der Zellen unter dem Mikroskop.
  • Verständnis der Ursprungszellen und Tumorentwicklung:
    • Tumoren können oft aus Stammzellen entstehen, die sich abnorm differenzieren.
    • Die exakte Ursprungszelle eines Tumors kann variabel sein, da Zellen eine hohe Plastizität aufweisen und sich unterschiedlich differenzieren können.


Das Wissen um die unterschiedlichen Krebsarten, ihre Entstehungsmechanismen und die Nomenklatur hilft bei der Diagnose, Behandlung und Forschung in der Onkologie.

Dieses Bild zeigt, dass jedes Lebewesen, aber auch jede einzelne Körperzelle, immer auf das Vorhandensein von guten Wachstumsbedingungen angewiesen ist. Bei einzelnen Zellen eines menschlichen Organs auf die Anwesenheit von Wachstumsfaktoren. Zellen benötigen Wachstumsfaktoren. Nicht nur, um sich zu teilen, um ein Wachstumssignal zu bekommen, sondern auch zum Überleben. Man spricht von „Survival Signals“: Damit Zellen in Organen überleben oder sich teilen können, muss ein Befehl kommen. Zellen stehen im Grunde im Wettkampf um limitierte Mengen von Wachstumsfaktoren. Wenn wir jetzt wieder auf die Blumen und Erde, Wasser, Licht und Sonne schauen, und es zum Beispiel nicht regnet, dann können die Blumen nicht überleben.

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Und so funktioniert die normale Regulation, es kann bedarfsangepasst gesteuert werden, z. B. bedarfsangepasst Dinge wie Zellteilung angeregt werden. Da geht es direkt zum nächsten Thema: Wachstum und Wachstumskontrolle.

Dieses Bild fasst das zusammen, was wir bis heute wissen und was wir als die Onkogen Hypothese bezeichnen. Bei der Onkogen Hypothese gehen wir davon aus, dass Tumorzellen dadurch entstehen, dass zum Beispiel bei der Zellteilung Mutationen übrigbleiben. Es überleben also Zellen, die Veränderungen in ihrem Genom (ihrem Erbgut) haben.

Das kann man sich so vorstellen: In jeder menschlichen Körperzelle ist die Bauanleitung eine 30.000 Kapitel große Bauanleitung. Also in jeder Körperzelle steckt eine persönliche Bauanleitung mit 30.000 Genen (Kapitel). Bei jeder Zellteilung müssen alle diese Kapitel einmal abgeschrieben/kopiert werden damit zwei identische Nachkommenszellen entstehen. Und bei dieser Kopie entstehen Fehler, die zwar durch sehr effiziente Mechanismen ausgemerzt werden, aber im Grunde ist es ein Ding der Normalität, dass manchmal auch Veränderungen entstehen und weitergegeben werden.

Bei der Zellteilung kann zum Beispiel nur ein Buchstabe ausgetauscht werden irgendwo in einem Kapitel in dieser Bauanleitung. Dann kann es sein, dass ein sinnloses Wort dabei rauskommt, was aber nicht weiter schlimm ist. Aber manchmal können einzelne ausgetauschte Buchstaben plötzlich eine Änderung in der Bauanleitung bewirken, die dazu führt, dass für das aus dieser Bauanleitung übersetzte Protein (Bauanleitung wird übersetzt in ein Protein) plötzlich eine andere Funktion entsteht.

Wenn das jetzt ein Protein ist, das die Wachstumsfaktoren abgreift, welches die Regentropfen sozusagen aufnimmt und es sich vom äußeren Faktor unabhängig macht und ständig ein Signal für Wachstum in die Zelle signalisiert, dann kann eine solche Mutation schon ausreichen, um dieser Zelle ein Dauerwachstumssignal zu bescheren.

Dass diese Fehler passieren, ist bei der großen Rate von Zellen, die wir ständig produzieren nicht verwunderlich. Im Allgemeinen macht es aber nichts, die Zellen sterben oder werden vom Immunsystem beseitigt. Aber manchmal haben wir Pech. Die eine Mutation ist dann so, dass sie doch weiter funktioniert, also nicht ganz kaputt gegangen ist, sondern sogar schlimmer geworden ist. Und da gibt es verschiedene Arten von Veränderungen. Das kann bei der Zellteilung passieren, das kann durch Einwirkung von Umweltfaktoren passieren, dass Schäden entstehen, die können auch, wenn man in der Buchanalogie bleibt, sogar so einer Art sein, dass irgendwo ein paar Seiten rausgerissen und weiter hinten wieder eingefügt werden und da entsteht natürlich meistens Unsinn. Manchmal entsteht plötzlich eine Anleitung, die sich so weiterlesen lässt, dass sogar ein komplett neues Protein entstehen kann, das in normalen Zellen gar nicht vorhanden ist.

Warum ist Krebs so gefährlich?

Krebs, solide Tumoren, sind deshalb gefährlich, weil sie sich ausbreiten können. Am Ort der Entstehung können z. B. Darmtumore auch lebensgefährliche Probleme machen, wenn beispielsweise eine normale Darmpassage nicht mehr funktioniert. Aber die meisten Darmkrebspatienten, die an ihrer Krankheit sterben, sterben an Problemen, die durch Metastasen zustande kommen. Beispielsweise weil die Leber so stark befallen ist, dass sie nicht mehr normal funktionieren kann. Das ist eine häufige Problematik.

Was würde passieren, wenn aus meinem Darm, eine normale, gesunde Zelle einfach irgendwo hinwandern würde? Kann sie überhaupt wandern? Und kann sie sich überhaupt irgendwo ansiedeln?

Das kann man beim Menschen nicht genau studieren. Um wieder ein einfaches Beispiel aus dem Alltag bzw. aus der Landwirtschaft zu nehmen: Metastasierung wurde schon vor über 100 Jahren beschrieben als „Seed and Soil“ Thema. Also auf der einen Seite gibt es Samen (Seed): Die Zellen breiten sich aus, sie werden mit dem Blutstrom fortgetragen. Auf der anderen Seite ist der Erdboden (Soil). Wenn also Samen auf die Erde gestreut werden, hängt es von den Qualitäten beider Faktoren ab, ob sie anwachsen.

Es gibt Zellen, die haben ein Potenzial, woanders anzuwachsen und es gibt Zellen, die haben dieses Potenzial nicht. Normale Körperzellen, die zum Beispiel bei jedem Unfall in großer Zahl ausgeschwemmt werden, wachsen normalerweise nicht woanders an. Die brauchen die Eigenschaft, neue Kolonien bilden zu können, an einem Zielorgane aus den Blutgefäßen wieder austreten zu können und sich neu ansiedeln.

Das sind Begriffe, die wir aus der Embryologie kennen. Eine befruchtete Eizelle, die sich in der Gebärmutterschleimhaut einnistet, sorgt dafür, dass ab einem sehr kleinen Stadium Blutgefäße aussprossen, damit sie wachsen kann.

Krebszellen sind unspezifisch und das müssen sie wahrscheinlich auch sein, damit sie sich überhaupt an einem fremden Ort ansiedeln können. Wie gut das klappt, hat man versucht in Tierversuchen zu studieren. Es ist extrem ineffizient. Es werden sehr viele Zellen ausgesät und nur ganz wenige wachsen an und diese finden eben auch nicht überall optimale Wachstumsbedingungen.

Das ist im Einzelfall für uns Kliniker ein Thema von Häufigkeit. Wenn ich einen Patienten mit Prostatakarzinom vor mir habe, dann weiß ich, diese Zellen fühlen sich besonders im Knochen und in den Lymphknoten wohl. Das ist mit Abstand das Häufigste. Bei Dickdarmtumoren sind Lebermetastasen viel häufiger als zum Beispiel Hirnmetastasen. Beim Lungenkrebs sind die Nebennieren sehr häufig betroffen.

Das ist klinische Epidemiologie, aber am einfachsten erklärt ist es wahrscheinlich mit dieser Seed and Soil Hypothese. Bestimmte Zellen haben bestimmte Wachstumscharakteristika und müssen bestimmte Wachstumsbedingungen vorfinden, um sich woanders wohlzufühlen und ansiedeln zu können.

Auf diesem Bild sieht man zwei Arten von Tumoren: Einen gutartigen Hauttumor. Tumor heißt ja erstmals einfach nur Geschwulst. Jeder hat gutartige Hauttumoren. Die wachsen nur lokal und können sich nicht ausbreiten. Und die bösartigen Zellen mit Fortsätzen, die in die Tiefe reichen. Die haben die Fähigkeit in Blutgefäße und Lymphgefäße einzudringen.

Manchmal gibt es auch Mischformen: Semi-maligne Tumoren. Es gibt beispielsweise an der Haut sogenannte Basalzellkarzinome. Das macht zwar so gut wie nie Metastasen, kann aber an Ort und Stelle sehr stark zerstörend wachsen und ist für Hautärzte manchmal, wenn es sehr stark fortgeschritten ist (die sonnenbeschienene Haut ist am häufigsten betroffen) manchmal wirklich schwer das nur chirurgisch in den Griff zu bekommen. Aber es ist eine Krankheit, die sich nicht über den Blutstrom ausbreitet.

Es gibt in der Klinik der Natur alle Spielarten. Aber letztlich erklären wir es den Studenten so: Will man mit letzter Sicherheit sagen, ob ein Tumor bösartig (maligne) ist, dann wird meistens das Metastasierungspotenzial als das entscheidende Kriterium herangezogen. Aber für uns als Ärzte in der Klinik ist es ist trotzdem ein Unterschied, welche Art von Primärtumor vorliegt. Das ist wichtig zu erklären, weil es oft durcheinandergebracht wird: Wenn ein Tumor, egal woher er kommt in der Lunge Metastasen macht, heißt es nicht, dass ich jetzt Lungenkrebs habe, sondern es sind Metastasen eines Tumors aus einem anderen Organ. Und eher das primäre Organ hilft uns rauszufinden, welche Therapie am besten funktioniert. Nicht so sehr die Frage, wohin sich die Krankheit verteilt hat.

Hallmarks of Cancer – Was sind die Charakteristika von Krebszellen?

In einer ganz berühmten Übersichtsarbeit haben die Biologen Hanahan und Weinberg vor gut 20 Jahren versucht, die typischen Charakteristika von Krebszellen zusammenzufassen. Hallmarks of Cancer heißt es auf Englisch. Auch in neueren Versionen hat man immer wieder aus neuer Forschungssicht versucht, zusammenzufassen und zu kategorisieren, welche Eigenschaften ein Tumor braucht, um zu wachsen.

Solche Arbeiten sind vor allem auch Stimulator zu überlegen, wo es sich lohnt, weiter nachzuschauen was wir noch nicht ausreichend verstanden haben. An welcher Stelle gibt es vielleicht ein Therapieangriffspunkt?

Widerstand gegen den Zelltod

Krebszellen sind unsterblich und teilen sich ständig. Es gibt keine eingebaute Uhr, die sagt: Jetzt ist Schluss. Das ist ein erstes Charakteristikum, das auch ermöglicht die Zellen in Kultur zu nehmen. Und die kann man im Grunde unendlich vermehren. Die werden eher nur genetisch instabiler und sind kleine Evolutionsmaschinen.

Aufrechterhaltung eines Wachstumssignals und Unempfindlichkeit gegenüber Wachstumshemmung

Die Zellen sind in der Lage ständig ein Wachstumssignal zu generieren – sich selbst – sie brauchen keins von außen, sondern sagen selbst: ich wachse jetzt. Und umgekehrt auch Unempfindlichkeit gegenüber Wachstumshemmung, also Faktoren, die normalerweise dazu führen, dass Wachstum unterdrückt wird, können ihnen nichts anhaben. Das ist natürlich eine grobe Charakterisierung oder Kategorisierung von Daten, die man vor allem in Labors herausgearbeitet hat.

Gewebeinvasion und Metastasierung

Ein ganz wichtiges Charakteristikum ist die Fähigkeit zu Gewebeinvasion, also ins Gewebe einzuwachsen, keine anatomischen Barrieren zu akzeptieren, sondern ins Gewebe einzuwachsen und sich von dort aus sogar weiterzuverbreiten.

Unlimitiertes Teilungspotenzial

Das ist ähnlich zum Widerstand gegen den Zelltod. Das gehört zusammen, mit jeder Teilung und zunehmender Teilung werden keine Mechanismen aktiviert, die dazu führen, dass das irgendwann aufhört oder langsamer wird.

Stimulation der Gefäßneubildung

Sie können sogenannte Angiogenese stimulieren. Angiogenese bedeutet, dass neue Gefäße (Blutgefäße) gebildet werden. Jeder Tumor, der größer werden will als ungefähr ein Millimeter im Durchmesser, ist darauf angewiesen, dass Gefäße aussprossen, die ihn mit Nährstoffen versorgen. Sonst funktioniert das nicht. Das war eine Entdeckung von vor ungefähr 50 Jahren. Bis heute sind Angiogenese-Inhibitoren, also Blockadewirkstoffe auch ganz wichtige Teile der Tumortherapie.

Interessant ist, dass Zellen aus ganz unterschiedlichen Gewebeursprungs so gleichmäßige Charakteristika ausbilden, um zu einer effizienten Krebszelle zu werden.

Emerging Hallmarks

Immunevasion

Es gibt noch weitere Aspekte/Charakteristika, Emerging Hallmarks, die zusätzlich eine Rolle spielen. Dazu gehört die Immunevasion. Bei der Immunevasion sind die Zellen in der Lage, das Immunsystem so auszutricksen, dass ihre Machenschaften unsichtbar bleiben. Die bleiben unentdeckt, obwohl sie mutiert/verändert sind. Im Grunde sind sie so etwas wie Schwarzfahrer im Zug. Blinde Passagiere, die keine Eintrittskarte haben. Man hat lange gerätselt, wie sie es schaffen, sich dem Immunsystem, das sehr streng patrouilliert und jede einzelne Körperzelle ständig überprüft (wie eine Fahrkartenkontrolle), zu entziehen.

Andererseits gäbe es niemanden von uns, wenn es nicht solche Mechanismen gäbe, denn wir waren alle im Mutterleib unserer Mutter immunologisch fremd. Also gibt es auch Mechanismen, um dieses Fremderkennungsprogramm zu unterdrücken. Und eben diese physiologischen Mechanismen nutzen Krebszellen aus.

Aber auch das ist wiederum zum Ansatzpunkt für moderne Therapien geworden. Wir können diese Mechanismen mit antikörperbasierten Therapien unterdrücken, die genau in dieser Tarnkappe ansetzen. Das wird heute unter dem großen Überbegriff Immuntherapie subsumiert. Man spricht nicht mehr von Emerging Hallmark, sondern von Immunevasion und Wiederherstellung der Sichtbarkeit für das Immunsystem. Das sind ganz wichtige Bestandteile der Tumortherapie geworden.

Genetische Instabilität

Charakteristika, die ihnen ermöglichen, so zu werden, sind genetische Instabilität. Sie sind instabil und das sorgt dafür, dass mit jeder neuen Tumorzellteilung ebenso viele Varianten und Mutanten auftauchen, dass auch neue Bedingungen von außen sehr schnell zu einer Anpassung führen. Viele nennen das „Evolution im Zeitraffer“.

Wenn die Krebszellen so instabil sind und ständig neue Varianten bilden, müssen da nicht auch Varianten entstehen, die gar nicht mehr krebsartig sind?

Da entstehen sicherlich Varianten, die für Hinfälligkeit sorgen, aber der Motor ist vorhanden und es gibt dadurch aber auch immer ein erhöhtes Potenzial, sich zum Beispiel einer wirksamen Therapie zu entziehen. Weil es immer „Überlebende“ gibt, die zufällig Charakteristika aufweisen, die resistent gegen das momentan verabreichte Arzneimittel machen. Das ist ein Problem bei der Therapieresistenzentwicklung.

Tumorfördernde Entzündung

Das Thema tumorfördernde Entzündung ist ein großes Feld, das wir bis heute nicht genau durchschauen. Es gibt wahrscheinlich Entzündungsformen, die dem Krebs eher nutzen als umgekehrt. Was überraschend ist, denn normalerweise ist eine Entzündung eine Reaktion, bei der das Immunsystem gezielt an einen Ort geht und versucht, etwas wegzuschaffen, was nicht in Ordnung ist.

Das haben die Autoren dieser Arbeit schon in dem Bild in der Mitte versucht darzustellen. Für die damalige Zeit war das sehr visionär. Hier wird versucht, einen Tumor darzustellen. Da sind zwar Tumorzellen mit dabei, aber auch jede Menge anderer Zellen: Unterschiedliche Arten von Immunzellen und Gefäßzellen. Wir haben gelernt, dass all diese Zellen für das Verhalten des Tumors im Körper eine große Rolle spielen. Deshalb ist auch das Schauen auf Tumorzellen im Labor nur sehr artifiziell, sehr künstlich. Wir haben im Labor eben nicht eine Durchblutung und ein Immunsystem, sondern wir haben ganz künstliche Bedingungen. Wir schauen meistens isoliert auf Tumorzellen und da gehört einfach mehr dazu.

Schauen wir mal in die Krebszelle hinein. Das ist eine Abbildung aus der gleichen Arbeit, die wir die ganze Zeit besprochen haben. In der gezeigten Tumorzelle sieht man, dass es an der Zellmembran (der äußeren grauen Umhüllung) sogenannte Wachstumsfaktoren gibt. Wachstumsfaktorrezeptoren, sozusagen Empfängerstrukturen an denen solche Wachstumsfaktoren von außen andocken. Die können verändert sein und können dann ein Signal ins Zellinnere weitertragen.

Die Signalüberträgermoleküle im Zellinneren sind an vielen Stellen miteinander verknüpft. Sieht fast aus wie eine Straßenbahnkarte. Tokio-Subway-Maps nennt man sie. Wenn an einer Stelle eine Mutation ist, die dazu führt, dass das Wachstum dieser Zelle immer angetriggert wird, und man geht dort mit einem Medikament rein, das genau diese eine Straßenbahnlinie blockiert, kann das eine Zeitlang funktionieren. Aber in vielen Fällen entwickeln sich sozusagen Umgehungssignalwege. Wir verstehen viel, aber wir verstehen in vielen Fällen tatsächlich immer noch nicht gut, wie Resistenzen entstehen.

Umgebung der Tumorzellen

Die Fokussierung nur auf die Tumorzelle reicht bei vielen Erkrankungen nicht aus, denn eine Tumorzelle ist eben nie allein in einem Tumor. Genau wie hier, das ist aus einem Biologie Lehrbuch. Bei diesen histologischen (feingeweblichen) Schnitten sieht man verschiedene Tumorarten von Brustkrebs, Darmtumor und Magenkarzinom. Man sieht die eingefärbten Tumorzellen.

Links oben zum Beispiel in braun, sieht man jede einzelne Tumorzelle. Die Pfeile zeigen auf Tumorzellennester. Aber die sind nicht allein. Da gibt es auch außen rum Bindegewebsfasernetzwerke wie rechts unten in diesem Magenkarzinom.

Links unten sind drüsig angeordnete Zellverbände. Aber diese Zellen sehen nicht aus, wie wenn sie im Labor eine Tumorzellkultur unterm Mikroskop betrachten. Da sehen sie nämlich nichts anderes als Tumorzellen. Und das ist eine ganz wichtige Erkenntnis.

Epitheliale Krebszellen und Stroma

Ein Karzinom ist ein Epitheltumor. Karzinomzellen sind die epithelialen Krebszellen. Aber dazu kommt sogenanntes Stroma. Alles was nicht Krebszelle ist, ist Stroma. Stroma heißt lateinisch so viel wie Matratze.

Auch bei normalen Organen unterscheidet man immer zwischen Parenchym und Stroma. In der Lunge wäre beispielsweise jede Lungenzelle, die zur Atemfunktion beiträgt, Parenchym Zelle und das Bindegewebsgerüst außen rum, das Stroma. Genau gleich macht man es bei Tumoren.

Zwei Extreme von Tumoren

Auf diesen Abbildungen sind zwei Extrembeispiele gezeigt. Auf der linken Seite haben wir ein Extrembeispiel für eine Tumorart, bei der sich die Tumorzellen tatsächlich in der absoluten Minderheit sich befinden. Das Hodgkin Lymphom ist in dem Fall so eins mit vielen Lymphozyten. Man sieht sehr viele Zellen. Jeder dunkle Punkt ist ein Zellkern einer Zelle. Und die eine in der Mitte oben, das ist eine sogenannte Reed Sternberg Zelle. Das ist die krankheitsauslösende Tumorzelle.

Die Hodgkin Lymphome erkennt man auch daran, dass es oft richtig tastbare, verdickte Lymphknoten gibt. Wenn nur ein kleiner Ausschnitt untersucht wird, kann es sein, dass die Diagnose vom Pathologen schwer zu stellen ist, da bei manchen Formen die Tumorzellen in einer Minderheit sind. Deshalb gilt bei der Lymphomdiagnose, wenn es irgendwie geht, immer den ganzen Lymphknoten rauszunehmen und dem Pathologen zu geben. So kann man die sicherste Diagnose stellen. Das andere Beispiel daneben ist ein gutartiger Tumor, ein sogenanntes Hämangiom. Hämangiom heißt Blutgefäßknäuel, also ein Blutschwämmchen. Wenn man sich das unter dem Mikroskop anschaut, sieht man fast jede Tumorzelle. Ein gutartiger Tumor ist eine Endothelzelle (Gefäßzelle). Dort ist ganz wenig anderes drin. Wenn es Tumoren gibt, die aus weniger Krebszellen als Stroma bestehen, ist es einfach nur ein Zufall Effekt? Sind das mehr so unschuldige Zuschauer, innocent bystanders, die einfach zufällig da sind oder tragen diese zusätzlichen Zellen dazu bei, dass die Krankheit sich besser ausbreitet und die Therapie resistent wird? In vielen Fällen müssen wir tatsächlich von einer Art Mittäterschaft ausgehen, denn sonst würde sich ja auch dieser Knubbel nicht erklären. Der Größeneffekt beim Hodgkin Lymphom ist tatsächlich meistens ein Größeneffekt durch normale Lymphozyten.

Schaut man sich den zellulären Inhalt menschlicher Krebstumoren an, findet man auf der einen Seite die Krebszellen, die in der Minderheit sein können. Es gibt die sogenannten normale Wirtszellen, die einfach da sind. Wenn man sich aber zum Beispiel auch zirkulierende Blutzellen von Tumorpatienten anschaut und genau analysiert, findet man kleine Unterschiede.

Ich habe mich zum Beispiel eine Zeitlang mit den Blutplättchen von Tumorpatienten beschäftigt. Blutplättchen sind die kleinsten Blutbestandteile, eigentlich nur Fragmente von Blutzellen, aber bei Tumorpatienten mit metastasierten Tumoren enthalten diese eine höhere Menge an Wachstumsfaktoren als bei Patienten, die keine Tumorerkrankung haben. Sie sind wahrscheinlich eine Art Biolieferant von Wachstumsfaktoren. Wenn Sie also genau schauen, dann können Sie sogar zeigen, dass ein Tumor einen Organismus so umprogrammieren kann, dass selbst die kleinen Blutplättchen zu Vollstreckern des Krankheitsinteresse werden. Kann man eine Krebstherapie dann so angehen, dass man eigentlich die Krebszelle gar nicht so sehr in den Fokus nimmt, sondern durchaus die ganzen Mechanismen, die sie hat, um das Umfeld zu manipulieren? Ja, da gibt es sehr gut funktionierende Beispiele dafür. Die Blutplättchen lassen sich aber leider nicht ohne Weiteres gut manipulieren. Aber man kann beispielsweise das Blutgefäßwachstum unterdrücken. Diese ganzen sogenannten antiangiogenetisch wirksamen Medikamente wirken gar nicht so sehr an den Krebszellen selbst, sondern eher im Stromabereich. Die verhindern diese typische chaotische Gefäßstruktur, die Tumoren ausmachen. Immuntherapie ist auch ein gutes Beispiel. Wir nutzen heute Antikörper zur Immuntherapie. Die binden nicht an Tumorzellen, sondern an normale Killerzellen, normale T-Lymphozyten und sorgen dafür, dass denen die Augen geöffnet werden und die Tumorzellen wieder erkennen. Das funktioniert ganz hervorragend. Beim schwarzen Hautkrebs beispielsweise. Eine Krankheit, die für eine große Zahl der Patienten ihren Schrecken verloren hat, weil es diese Immuntherapie gibt. Und die hat mit der Tumorzelle erstmal nichts zu tun. Nur indirekt.

Ein paar Jahre später wurde noch anders auf die Arbeit geschaut. Inwiefern sind die Eigenschaften von Tumorzellen beeinflusst oder abhängig von Stromazellen? Fast keine einzige Eigenschaft ist für sich allein da, sondern es gibt mittlerweile Forschungsergebnisse, die für fast jede einzelne Eigenschaft (Hallmark) von Tumorkrankheiten zumindest einen Beitrag erkennen lässt, sozusagen normaler, unschuldiger Normalkörperzellen. Das heißt, wir haben es mit einem echten Organismus im Organismus zu tun. Deshalb ist es auch in den allermeisten Fällen vollkommen hinfällig, Dinge zu tun, wie Tumorzellen in vitro mit Medikamenten zusammenzubringen und daraus Schlüsse zu ziehen, ob das jetzt wirkt oder nicht, weil es etwas komplett Künstliches ist und nichts damit zu tun hat, was wir tatsächlich im Menschen finden. Und das heißt, es werden jetzt zunehmend neue Therapieansätze entwickelt, die genau dieses Umfeld mit betrachten? Ja, vor allem immuntherapeutische Ansätze sind sehr stark über dieses Denkmuster entwickelt worden. Und schon erfolgreich im Einsatz.