Chemotherapie und Immuntherapie sind heute weit verbreitete Behandlungsmethoden in der Krebsmedizin. Viele Patienten stehen vor der Frage, welche dieser Therapien für sie die bessere Wahl ist und warum. Chemotherapie klingt für viele Menschen oft abschreckend, während Immuntherapie eher positiv wahrgenommen wird. Was genau hinter diesen beiden Ansätzen steckt, erklärt Professor Kopp, Chefarzt der Onkologie und Hämatologie des Robert Bosch Krankenhauses.
Karin Strube
Mitgründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Strube Stiftung
Prof. Dr. med. Hans-Georg Kopp
Chefarzt der Onkologie am Robert Bosch Krankenhaus Stuttgart
Grundlagen
Chemotherapie:
Immuntherapie:
Mechanismus der Immuntherapie
Nebenwirkungen der Immuntherapie
Gut managebare Nebenwirkungen:
Schwerwiegendere Nebenwirkungen:
Langfristige Effekte:
Vorteile und Herausforderungen
Individuelle Therapieentscheidung
Die Immuntherapie ist ein Sammelbegriff für verschiedene Ansätze, die darauf abzielen, das körpereigene Immunsystem im Kampf gegen Krebs zu unterstützen. Das Immunsystem schützt uns normalerweise vor Krankheitserregern wie Viren, Bakterien und Pilzen. Immuntherapeutische Methoden versuchen, dieses System gezielt zu aktivieren, um Tumorzellen zu erkennen und zu bekämpfen. Die Immuntherapie ist nicht mit allgemeinen Maßnahmen zur Stärkung des Immunsystems, wie etwa einer gesunden Ernährung oder dem Konsum von Rote-Bete-Saft, gleichzusetzen. Zwar können solche Maßnahmen das allgemeine Wohlbefinden fördern, sie reichen jedoch nicht aus, um das Immunsystem auf bösartige Tumorzellen auszurichten oder eine effektive Antitumor-Immunität herzustellen.
Die Immuntherapie setzt auf präzise, maßgeschneiderte Ansätze. Diese basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber, wie Tumorzellen das Immunsystem austricksen. Zum Teil ist es inzwischen möglich, gezielt in diese Mechanismen einzugreifen und die Antitumor-Immunität wieder zu aktivieren.
Ein häufig verwendeter Ansatz in der Immuntherapie ist die Therapie mit sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren. Diese greifen in die Prozesse des Immunsystems ein und stellen eine Art „High-Tech-Einflussnahme“ dar.
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Mehr InformationenTumore entstehen aus körpereigenen Zellen, die sich durch Mutationen verändert haben. Für das Immunsystem ist es zunächst schwer, diese veränderten Zellen von gesunden Zellen zu unterscheiden, da sie auf den ersten Blick körpereigen, also nicht fremd wirken. Tumorzellen besitzen jedoch häufig veränderte Moleküle auf ihrer Oberfläche oder im Zellinneren, die sie als „andersartig“ kennzeichnen. Das Immunsystem hat grundsätzlich die Fähigkeit, diese bösartigen Veränderungen zu erkennen und zu bekämpfen. Allerdings gibt es bei sichtbaren, messbaren Tumoren ein entscheidendes Problem: Sie haben Mechanismen entwickelt, um sich dem Immunsystem zu entziehen. Dieser Prozess wird als Tumor-Immunevasion bezeichnet. Die Tumorzellen nutzen dabei Schutzmechanismen, die wie eine Tarnkappe wirken und das Immunsystem daran hindern, effektiv zu reagieren.
Die Unterschiede zwischen Chemotherapie und Immuntherapie sind für viele Patienten von großem Interesse. Während die Chemotherapie oft als „grobmotorischer“ Ansatz beschrieben wird, bei dem alle schnell wachsenden Zellen im Körper angegriffen werden, bietet die Immuntherapie eine präzisere und gezieltere Vorgehensweise. Sie greift spezifisch in die Interaktion zwischen Tumorzellen und dem Immunsystem ein, um die Abwehrkräfte des Körpers zu unterstützen.
Tumorzellen entstehen durch eine Anhäufung genetischer Veränderungen, die sie von der normalen Zellregulation abkoppeln. Dadurch beginnen sie unkontrolliert zu wachsen und sich im Körper auszubreiten. Das Immunsystem hat jedoch einen Mechanismus namens „Immunüberwachung“, der veränderte Zellen erkennen und bekämpfen kann.
Dieser Mechanismus funktioniert ähnlich wie eine Ausweiskontrolle. Jede Körperzelle präsentiert kleine Bestandteile ihres Inneren auf ihrer Oberfläche. Das wird zufallsmäßig im Zellinneren ausgewählt und wird über sogenannte Präsentier-Moleküle nach außen präsentiert. T-Lymphozyten, eine spezielle Art von weißen Blutkörperchen, kontrollieren diese präsentierten Moleküle. Wenn die präsentierten Moleküle als „normal“ erkannt werden, bleibt die Zelle unbehelligt. Erkennen die T-Zellen jedoch mutierte oder veränderte Moleküle, können sie die betroffene Zelle angreifen und zerstören – und das sehr präzise, mit relativ wenig Kollateralschaden.
Viele Tumorzellen entwickeln Mechanismen, um sich der Immunüberwachung zu entziehen. Sie nutzen beispielsweise sogenannte „Abschalte-Proteine“, die T-Zellen daran hindern, ihre Abwehrfunktion auszuüben. Ein bekanntes Beispiel ist das Protein PD-L1, das von Tumorzellen auf ihrer Oberfläche präsentiert wird. Wenn PD-L1 auf das PD1-Protein einer T-Zelle trifft, wird die T-Zelle deaktiviert und der Tumor bleibt unbehelligt. Dieser Prozess wird oft mit einer Tarnkappe verglichen, die den Tumor für das Immunsystem unsichtbar macht.
Checkpoint-Inhibitoren sind eine moderne Form der Immuntherapie, die speziell auf diese „Tarnkappe“ der Tumorzellen abzielt. Sie sind Antikörper, die entweder das PD-L1-Protein auf Tumorzellen oder den PD1-Rezeptor auf T-Zellen blockieren. Dadurch wird verhindert, dass die T-Zellen abgeschaltet werden, und sie können den Tumor wieder aktiv angreifen.
Besonders bei Tumoren mit hoher PD-L1-Expression, also einem hohen Anteil an Tumorzellen mit diesem Protein, zeigen Checkpoint-Inhibitoren eine beeindruckende Wirkung. Diese Medikamente haben beispielsweise beim malignen Melanom – einer besonders aggressiven Form von Hautkrebs – Langzeit-Kontrollraten von fast 50 % erreicht. Viele Experten sprechen inzwischen von Heilungschancen bei einer Erkrankung, die früher im metastasierten Stadium kaum behandelbar war.
Im Gegensatz zur Chemotherapie, die alle schnell wachsenden Zellen angreift, setzt die Immuntherapie auf hochpräzise Mechanismen. Sie reaktiviert die körpereigene Immunabwehr, indem sie gezielt in die Kommunikation zwischen Tumorzellen und T-Zellen eingreift. Dadurch bietet sie eine effektive und zugleich schonendere Behandlungsoption für viele Krebspatienten.
Ein entscheidender Faktor für die Wirksamkeit von Immuntherapien, insbesondere von Checkpoint-Inhibitoren, ist das Vorhandensein des Proteins PD-L1 auf der Oberfläche von Tumorzellen. Doch was passiert, wenn ein Patient an einem Tumor leidet, der kein PD-L1 aufweist? Kann die Immuntherapie dennoch wirksam sein?
Auch bei Tumoren ohne PD-L1-Expression zeigt die Kombination aus Chemotherapie und Immuntherapie häufig bessere Ergebnisse als die alleinige Chemotherapie. Obwohl die genauen Mechanismen noch nicht vollständig bekannt sind, gibt es eine plausible Erklärung: Chemotherapie führt zum Absterben von Tumorzellen, wodurch Zelltrümmer entstehen. Diese werden vom Immunsystem aufgenommen und analysiert. Dabei können sie dem Immunsystem signalisieren, dass etwas „fremd“ ist, was zu einer Immunantwort führt.
Dieser Effekt wird als immunstimulierender Nebeneffekt der Chemotherapie betrachtet. Somit kann die Kombination beider Therapieformen auch bei PD-L1-negativen Tumoren langfristig zu besseren Behandlungsergebnissen führen.
Chemotherapie hat bekanntermaßen einen negativen Einfluss auf das Immunsystem, insbesondere auf schnell regenerierende Zellen wie Fresszellen. Doch gleichzeitig besitzt sie auch immunstimulierende Eigenschaften, die je nach eingesetztem Wirkstoff variieren können. Diese doppelte Wirkung macht die Chemotherapie zu einem wichtigen Partner der Immuntherapie, auch wenn sie auf den ersten Blick immununterdrückend wirkt.
Die gängigen Immuncheckpoint-Inhibitoren sind Antikörper, die aus Eiweißbausteinen bestehen. Da sie im Magen vollständig verdaut würden, müssen sie direkt in den Blutkreislauf gelangen. Dies geschieht entweder als Infusion in die Vene oder – in manchen Fällen – als Injektion.
Die Infusion ist für die meisten Patienten unkompliziert und wird in der Regel gut vertragen. Akute Nebenwirkungen wie Übelkeit oder allergische Reaktionen sind selten. Tatsächlich ähnelt die Verabreichung von Immuntherapien oft der einer Kochsalzinfusion – unspektakulär und einfach durchzuführen.
Die Verabreichung der Immuntherapie erfolgt entweder direkt über eine Vene oder – häufiger – über einen sogenannten Port. Ein Port ist ein unter die Haut eingesetzter Zugang, der den Medikamentenfluss zuverlässig sicherstellt. Er ist besonders praktisch, da er bei mehrfachen Infusionen den Patienten schont und die Sicherheit der Verabreichung erhöht.
Die Immuntherapie wird, ähnlich wie die Chemotherapie, in Zyklen verabreicht. Diese Zyklen sind in der Regel drei Wochen lang, was mit der Halbwertszeit der verwendeten Antikörper zusammenhängt. Nach etwa drei Wochen ist nur noch die Hälfte des verabreichten Wirkstoffs im Körper aktiv. Im Gegensatz zur Chemotherapie ist die Pause zwischen den Zyklen jedoch nicht dazu gedacht, dass sich der Körper erholt. Vielmehr geht es darum, einen konstanten Wirkspiegel im Körper aufrechtzuerhalten.
Dieser Rhythmus passt oft gut mit der Zeitplanung von Chemotherapieprotokollen zusammen, was den Onkologen ermöglicht, beide Behandlungsarten zu kombinieren. Historisch gesehen ist die Einteilung in dreiwöchige Zyklen auch in der Onkologie weit verbreitet.
Die Wirkweise von Immuncheckpoint-Inhibitoren beruht darauf, die „Bremsen“ des Immunsystems zu lösen. Das bedeutet jedoch auch, dass das Immunsystem in manchen Fällen körpereigenes Gewebe angreift, wenn es dieses fälschlicherweise als fremd erkennt. Diese gesteigerte Autoimmunreaktion kann bei etwa 10 % der Patienten auftreten und wird als „Immunnebenwirkungen“ oder „immune-related adverse events (irAEs)“ bezeichnet.
Die möglichen Nebenwirkungen sind vielfältig und ähneln den Symptomen autoimmuner Erkrankungen. Typischerweise enden die deutschen Begriffe für diese entzündlichen Reaktionen auf „-itis“, wie etwa:
Jedes Organ und jede Körperstruktur kann potenziell betroffen sein. Glücklicherweise treten schwere Nebenwirkungen selten auf, und die meisten sind gut behandelbar.
Die häufigste Immunnebenwirkung betrifft die Schilddrüse. Patienten entwickeln eine Schilddrüsenentzündung (Thyreoiditis), die einer sogenannten Hashimoto-Thyreoiditis ähnelt. Diese Erkrankung beginnt oft mit einer vorübergehenden Schilddrüsenüberfunktion, die schließlich in eine bleibende Schilddrüsenunterfunktion übergeht. Die Behandlung besteht in der Regel in der dauerhaften Einnahme des Schilddrüsenhormons Thyroxin, was für die meisten Betroffenen gut handhabbar ist.
Wenn durch eine Immuntherapie Autoimmunreaktionen ausgelöst werden, bleiben diese häufig dauerhaft bestehen. Daher ist es wichtig, solche Reaktionen frühzeitig zu erkennen und bei schwerwiegenden Nebenwirkungen die Therapie gegebenenfalls zu pausieren oder abzubrechen.
Interessanterweise profitieren Patienten, die schwerere Immunreaktionen entwickeln, oft besonders stark von der Therapie. Bei diesen Patienten scheint das Immunsystem besonders aktiv gegen die Krebserkrankung vorzugehen, was langfristig positive Effekte hat. In manchen Fällen bleibt der therapeutische Effekt auch nach dem Absetzen der Immuntherapie bestehen – ein Ideal, das als Ziel der modernen Immuntherapie gilt.
Neben gut managebaren Nebenwirkungen gibt es auch Immunreaktionen, die für Patienten belastend und schwerer zu behandeln sind. Zwei wichtige Beispiele sind:
Es mag paradox erscheinen, dass bei einer Immuntherapie zur Tumorbekämpfung die Immunität unterdrückt wird. Doch in Fällen von schweren Nebenwirkungen ist dies unverzichtbar, um den Patienten zu schützen. Das Ziel ist, die unerwünschte Reaktion schnell zu kontrollieren und die Behandlung so auszurichten, dass die Antitumor-Immunität weiterhin erhalten bleibt.
Ein besonderer Vorteil der Immuntherapie ist ihre nachhaltige Wirkung. Auch nach dem Ende der Therapie bleibt das Immunsystem oft aktiv gegen die Tumorerkrankung. Deshalb ist es besonders wichtig, auf Symptome zu achten, die möglicherweise durch späte Immunreaktionen verursacht werden:
Ob die Immuntherapie ein definiertes Ende hat, hängt von der individuellen Situation des Patienten ab. Bei metastasierten Krebserkrankungen wird die Immuntherapie in der Regel so lange fortgeführt, wie sie gut vertragen wird und effektiv bleibt.
Es gibt jedoch Sonderfälle, die von der Studienlage abhängen. Zum Beispiel:
Interessant ist, dass viele dieser Patienten nach Beendigung der Therapie weiterhin stabil bleiben und in Remission sind – das heißt, die Krankheit bleibt langfristig unter Kontrolle. Dieser Ansatz wurde in Studien gut geprüft und gilt als verlässlicher Weg.
Die Entscheidung, ob eine Immuntherapie fortgeführt oder beendet wird, ist komplex und erfordert individuelle Beratungsgespräche. Ärzte müssen sorgfältig abwägen, wie lange eine Therapie notwendig ist und welche Risiken und Vorteile mit einer Fortsetzung oder einem Abbruch verbunden sind. Besonders herausfordernd sind Gespräche, wenn eine Therapie gut verträglich ist und der Patient auf einen Abbruch hin angesprochen wird.
Die Immuntherapie ermöglicht nicht nur eine längere Lebenszeit, sondern in optimalen Fällen auch eine langanhaltende Heilung. Der nachhaltige Effekt, der oft auch nach Absetzen der Therapie bestehen bleibt, ist ein wesentlicher Fortschritt in der Krebsbehandlung und das Ideal, das Onkologen und Patienten gleichermaßen anstreben.
Die Wahl zwischen Chemotherapie, Immuntherapie oder einer Kombination beider Ansätze hängt stark von der jeweiligen Krebserkrankung und den individuellen Eigenschaften des Patienten ab. Es gibt kein universelles Rezept, und das Beste ist oft eine maßgeschneiderte Kombination. Patienten sollten offen mit ihren Behandlern sprechen und alle Optionen in Betracht ziehen, um die für sie optimale Therapie zu finden.