Lungenkrebs betrifft nicht nur Raucher – auch junge Patienten ohne Risikofaktoren können erkranken. Doch dank moderner Biomarker-Testungen und zielgerichteter Therapien eröffnen sich neue Perspektiven in der Behandlung.
Erfahren Sie im 2. Teil, wie das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) jedem Lungenkrebspatienten in Deutschland Zugang zu innovativen Therapieoptionen ermöglicht. Experte Dr. Matthias Scheffler von der Uniklinik Köln erklärt, warum es sich lohnt, auf die Ergebnisse der Biomarker-Testung zu warten und welche enormen Vorteile zielgerichtete Therapien gegenüber der Standard-Chemotherapie bieten.
Nicoline Ehrardt
Patientin und Patientenvertreterin, Vorstandsmitglied von ZielGENau e.V.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Scheffler
Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie an der Uniklinik Köln
Charakteristika von Patienten mit Treibermutationen:
Schwierigkeiten bei der Früherkennung:
Stigmatisierung von Lungenkrebspatienten:
Feststellung von Biomarkern bei Krebserkrankungen:
Befundung und Therapieempfehlung:
Das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM):
Möglichkeiten der nachträglichen Biomarker-Testung:
Zeitpunkt des Therapiebeginns bei Lungenkrebs:
Fast-Track-Verfahren in Köln:
Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme, dass Lungenkrebs ausschließlich Raucher betrifft, sieht die Realität anders aus. Dr. Matthias Scheffler von der Uniklinik Köln erklärt, dass Treibermutationen auch bei Patienten vorkommen, die niemals geraucht haben. Besonders eindrucksvoll ist dies bei bestimmten genetischen Mutationen wie EGFR und ALK. Diese Mutationen treten häufig bei jüngeren Patienten auf, die nie geraucht haben und teilweise auch spezifische ethnische Hintergründe haben.
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Mehr InformationenEGFR-Mutationen wurden zunächst häufig bei weiblichen, asiatischen Nichtrauchern diagnostiziert, die eher jünger waren. Diese Gruppe wurde insbesondere bei begrenzten Ressourcen für Molekulartests priorisiert. Mittlerweile sieht man jedoch EGFR-Mutierte in einer breiteren demografischen Gruppe.
Bei den ALK-Mutationen zeigt sich ein ähnliches Bild, ohne jedoch den starken asiatischen Einfluss. In Europa sind etwa 10% der Lungenkrebspatienten von ALK-Mutationen betroffen. Auffällig ist, dass diese Patienten oft sehr jung sind. Bei Patienten mit Erstdiagnose unter 40 sind 80% ALK-Patienten dabei. Dr. Scheffler berichtet, dass seine erste ALK-Patientin bei der Diagnose erst 23 Jahre alt war und nie geraucht hatte. Oft wird in solchen Fällen die Diagnose aufgrund von Vorurteilen und Missverständnissen verzögert, da Lungenkrebs bei jungen Nichtrauchern zunächst nicht vermutet wird.
ROS-Mutationen treten zwar auch bei jüngeren Patienten auf, sind aber tendenziell etwas älter als die bei ALK- und EGFR-Mutationen Betroffenen. Auf der anderen Seite haben wir KRAS-Mutationen, die meist bei Patienten mit einer Rauchhistorie vorkommen. Diese Untergruppenanalyse hilft dabei, spezifische klinische Charakteristika der Patienten besser zu verstehen.
Die Früherkennung bei Lungenkrebs gestaltet sich als äußerst schwierig, da bei vielen Patienten keine klassischen Risikofaktoren wie Rauchen vorliegen. Dr. Scheffler betont die Verantwortung der Ärzte, besonders aufmerksam zu sein. Beispielsweise sollte ein Hausarzt bei einem jungen Patienten, der nicht auf Antibiotika anspricht, weiterführende diagnostische Maßnahmen wie ein CT in Betracht ziehen. Oft vergehen jedoch Monate bis zur richtigen Diagnose, was die Behandlungsmöglichkeiten erschwert.
Ein bedeutendes Problem stellt die Stigmatisierung von Lungenkrebspatienten dar. Mindestens 20% der Patienten in Dr. Schefflers Arbeitsgruppe haben keine Raucheranamnese, bei Patienten mit Treibermutationen liegt dieser Anteil sogar noch höher. Dennoch wird Lungenkrebs häufig pauschal mit Rauchen in Verbindung gebracht, was zu einer starken Stigmatisierung der Betroffenen führen kann. Diese Stigmatisierung ist bei Lungenkrebs ausgeprägter als bei anderen Krebsarten und kann sogar zu familiären Konflikten führen.
Der erste Schritt zur Feststellung von Biomarkern bei Krebserkrankungen ist die Entnahme einer Gewebeprobe (Biopsie). Diese Probe wird im Aufnahmelabor von Pathologen aufbereitet. Zunächst wird das Gewebe in Paraffin eingebettet, um es am nächsten Tag in dünne Schichten schneiden zu können. Unter dem Mikroskop erfolgt eine erste visuelle Beurteilung der Zellen hinsichtlich ihrer Größe und anderer Merkmale, die bei Lungenkrebs bereits erste Aussagen ermöglichen.
Aus den Gewebeproben, die vermutlich Tumorgewebe enthalten, wird im nächsten Schritt DNA und RNA extrahiert. Die RNA gibt Aufschluss darüber, welche Gene tatsächlich exprimiert werden. Die extrahierte DNA und RNA werden dann sequenziert, das heißt, die Abfolge der Basenpaare in den Genen wird mehrere hundert bis tausend Mal abgelesen. So können Auffälligkeiten oder Mutationen in einzelnen Genen identifiziert werden.
Die Sequenzierung und Analyse der Daten ist ein hochkomplexer Prozess, der eine enge Zusammenarbeit von Medizinern und IT-Spezialisten erfordert. In multidisziplinären Tumorboards werden die Daten einzelner Patienten besprochen. Die enorme Datenmenge muss so aufbereitet werden, dass relevante Mutationen erkennbar werden. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen Treibermutationen, die für die Krebsentstehung verantwortlich sind, und harmlosen Varianten (Polymorphismen), die auch in der gesunden Bevölkerung vorkommen.
Weiterführendes zum Thema zielgerichtete Therapien bei Lungenkrebs:
Funktionsweise zielgerichteter Lungenkrebstherapien >>
Zielgerichtete Lungenkrebstherapien Resistenzmutationen >>
Nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs >>
Nach aufwendigen Abgleichen mit Referenz-Genomen und Datenbanken erhalten die behandelnden Ärzte einen Befund, der die gefundenen Mutationen auflistet. Im Rahmen des nationalen Netzwerks Genomische Medizin (nNGM) wird zusätzlich eine Einschätzung abgegeben, ob es sich um eine aktivierende Mutation handelt und ob eine zielgerichtete Therapie in Frage kommt. Diese Informationen sind in der MURIPEDIA-Datenbank hinterlegt.
Aufgrund der Komplexität der Biomarker-Testung ist es ratsam, sich an spezialisierte Zentren zu wenden. Dort kann sichergestellt werden, dass alle relevanten Gene untersucht werden und die Diagnostik auf höchstem Niveau erfolgt. Ein weiterer Vorteil ist die zeitnahe Bearbeitung: Im nNGM beispielsweise werden die Ergebnisse innerhalb von zehn Arbeitstagen geliefert. So können Patienten schnellstmöglich eine auf ihre individuelle Situation abgestimmte Therapie erhalten.
Das Nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) ist ein diagnostisches Netzwerk, das sich der umfassenden Analyse von Lungenkrebs in Deutschland widmet. Es hat sich zum Ziel gesetzt, Patienten die bestmöglichen Therapieoptionen zu bieten. Ursprünglich in Köln als Netzwerk Genomische Medizin gegründet, umfasste es etwa 300 Partner, darunter niedergelassene Onkologen und Pathologen, die Proben zur Analyse einsandten. Inzwischen wurde es zu einem nationalen Netzwerk ausgeweitet, das rund 25 Zentren in ganz Deutschland umfasst, die harmonisierte Testverfahren anwenden.
Das Hauptziel des nNGM ist es, jedem Lungenkrebs-Patienten in Deutschland eine umfassende molekulare Testung anzubieten. Der behandelnde Arzt muss die Proben an eines der nNGM-Zentren schicken, die in jeder größeren Stadt zu finden sind. Wichtig ist dabei, dass die Patienten wohnortnah von ihrem bekannten Behandler betreut werden können. Die Testung und die darauf basierenden Therapieempfehlungen werden zentral durchgeführt, ohne dass der Patient an das Zentrum gebunden ist.
Ein bedeutender Vorteil des nNGM ist, dass die Testungen von den Krankenkassen übernommen werden, was es zu einer Kassenleistung macht. Dies ist in vielen anderen europäischen Ländern nicht der Fall, was das nNGM zu einem Vorzeigemodell macht. Selbst Länder mit exzellenten Gesundheitssystemen, wie Skandinavien oder die Niederlande, haben oft nicht diese Möglichkeit.
Das Netzwerk ermöglicht es, Proben lokal einzusenden und die Patienten vor Ort behandeln zu lassen. Dabei spielt auch die Skepsis mancher behandelnden Ärzte eine Rolle, die befürchten, ihre Patienten an die großen Zentren zu verlieren. Dies ist jedoch nicht der Fall, da die Patienten weiterhin bei ihren bekannten Behandlern bleiben und lediglich die Testungen und die darauf basierenden Empfehlungen zentralisiert sind. Zusätzlich gibt das Netzwerk Empfehlungen für klinische Studien, die oft an Zentren durchgeführt werden.
Bisher war die molekulare Testung hauptsächlich für inoperable, lokal fortgeschrittene oder metastasierte Lungenkrebs-Patienten (Stadium 4) relevant, die zwingend eine systemische Therapie benötigen. In jüngster Zeit zeichnet sich jedoch ein Paradigmenwechsel ab: Bei bestimmten Mutationen (z. B. EGFR, ALK) wird die Testung auch vor einer Operation in Betracht gezogen, um gegebenenfalls bereits perioperativ eine zielgerichtete Therapie zu beginnen. Dieser Trend zur Ausweitung der Testung auf frühere Krankheitsstadien ist spannend und vielversprechend, da hierdurch viele neue klinische Daten generiert werden.
In den meisten Fällen ist es möglich, bereits vorhandenes Biopsiematerial nachträglich auf Biomarker zu testen, insbesondere wenn in der Zwischenzeit keine zielgerichtete Therapie stattgefunden hat. Das bedeutet, dass sich der Ausgangsbefund wahrscheinlich nicht wesentlich verändert hat. Archiviertes Material kann in den meisten klinischen Studien bis zu zwei Jahre nach der Entnahme für eine erneute Testung herangezogen werden.
Eine weitere Option ist die sogenannte Liquid Biopsie, bei der die Testung anhand einer Blutprobe erfolgt. Hierbei ist jedoch noch nicht vollständig geklärt, wie und warum Tumor-DNA ins Blut gelangt. Eine Theorie besagt, dass Tumorzellen zerfallen und dabei DNA ins Blut abgeben. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob diese zerfallenden Zellen überhaupt therapiert werden müssen. Trotz dieser Unklarheiten hat sich die Liquid Biopsie mittlerweile zu einer sehr zuverlässigen Methode entwickelt.
Im Falle des nicht-kleinzelligen Lungenkrebses (NSCLC) ist die Krankheit in der Regel weniger aggressiv im Vergleich zu kleinzelligem Lungenkrebs. Das bedeutet, dass oft genügend Zeit besteht, um auf die Testergebnisse zu warten. Eine zielgerichtete Therapie, die auf den Testergebnissen basiert, kann im Vergleich zu einer Chemotherapie wesentlich effektiver sein. Zum Beispiel zeigt die Erfahrung, dass zielgerichtete Therapien eine deutlich höhere Erfolgsrate haben. Ein von Dr. Scheffler überprüftes türkisches Paper hat untersucht, ob eine Wartezeit vor der Therapie einen negativen Einfluss auf Patienten ohne Treibermutationen hat. Das Ergebnis zeigte keinen Unterschied, selbst bei Wartezeiten von bis zu 39 Tagen.
Der Unterschied zwischen einer zielgerichteten Therapie, die auf einen nachgewiesenen Biomarker abgestimmt ist, und einer Standard-Chemotherapie ist enorm. Zielgerichtete Therapien können die Prognose im Vergleich zur Chemotherapie um das Drei- bis Zehnfache verbessern. Daher sollte man in den meisten Fällen auf die Ergebnisse der Biomarker-Testung warten, um die bestmögliche Behandlungsoption zu ermitteln.
In Köln wird für zugelassene zielgerichtete Therapien (ALK, EGFR, ROS1, BRAF, MET Exon 14 und bald auch HER2) ein Fast-Track-Verfahren angeboten. Dabei werden die entsprechenden Gene einzeln und hierarchisch getestet, anstatt eine breite Sequenzierung durchzuführen. Zunächst wird das KRAS-Gen untersucht, da KRAS-Mutationen oft zielgerichtete Therapien ausschließen.
Ein Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die Ergebnisse schneller vorliegen. Der Nachteil besteht darin, dass einige Behandler keine zusätzlichen NGS-Ergebnisse (Sequenzierungs-Ergebnisse) mehr abwarten. Der erste Befund liegt jedoch spätestens nach fünf Tagen vor, sodass entschieden werden kann, ob eine sofortige Therapie notwendig ist oder ob man die vollständigen NGS-Ergebnisse abwarten kann.