Zielgerichtete Therapien sind eine moderne Form der Krebsbehandlung, die sich auf spezifische Veränderungen in den Krebszellen konzentrieren. Bei Lungenkrebs spielen dabei sogenannte Treibermutationen und Biomarker eine wichtige Rolle. Die Therapie zielt darauf ab, diese Veränderungen gezielt zu behandeln.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Scheffler
Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie an der Uniklinik Köln
Nicoline Ehrardt
Patientin und Patientenvertreterin, Vorstandsmitglied von ZielGENau e.V.
Ein großer Vorteil der zielgerichteten Therapie liegt in ihrer hohen Wirksamkeit. Patienten können oft sehr gute Überlebenszeiten erreichen. Das Ansprechen auf die Therapie, also eine Verkleinerung des Tumors um mindestens 30%, liegt bei beeindruckenden 80-90%.
Zielgerichtete Therapien werden in Form von Tabletten verabreicht. Dadurch entfallen stationäre Krankenhausaufenthalte und Patienten können ihren Alltag weitestgehend normal gestalten. Viele können sogar weiterhin arbeiten und ihren Hobbies nachgehen. Die Lebensqualität bleibt bei den meisten Patienten hoch.
Früher lehnten einige Patienten diese Form der Therapie ab, weil sie dachten, dass nur eine Chemotherapie mit ihren bekannten Nebenwirkungen wie Haarausfall wirksam sein könne. Doch auch Tabletten können sehr viel bewirken.
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Mehr InformationenDie am häufigsten eingesetzten Medikamente bei der zielgerichteten Therapie sind Tyrosinkinase-Inhibitoren (Inhibitoren steht für Hemmung). Kinasen nennt man die Proteine in den Zellen, die Informationen oder Energie übertragen können, wie beim „Stillen Post Prinzip“: einmal klopfen und Information weitergeben. Sie sind an der Zellmembran gebunden und fungieren als Rezeptoren. Tyrosin ist eine Aminosäure, die wichtig ist, wenn man Membranstrukturen hat.
Tyrosinkinase-Inhibitoren hemmen die Aktivität dieser Proteine und greifen so in die Signalübertragung der Krebszellen ein. Es gibt auch andere Kinasen mit anderen Aminosäuren, wie Serin/Threonin-Kinasen, die nicht an Membranen gebunden sind.
Tyrosinkinasen sind Enzyme, die hauptsächlich an der Zellmembran lokalisiert sind. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung in der Zelle. An der Außenseite der Membran befindet sich der Rezeptor, während die Kinase auf der Innenseite sitzt. Die Aminosäure Tyrosin dient dabei als Verankerungsstelle und ermöglicht die Übertragung von Energie in Form von Phosphat. Tyrosinkinasen sind derzeit besser therapierbar als Nicht-Tyrosinkinasen.
Unter normalen Umständen sind Tyrosinkinasen streng reguliert. Die Rezeptoren sind von Ligand (aus der Blutbahn) abhängig, das von außen an sie binden und so Reaktionen in der Zelle auslösen. Die beteiligten Proteine sind darauf optimiert, sich nach der Signalübertragung sofort wieder zu deaktivieren. Dieses „Stille-Post-Prinzip“ stellt sicher, dass die Signale in der Zelle präzise weitergeleitet werden.
Kinasen-Mutationen können jedoch zu einer Überaktivierung führen. Dies kann verschiedene Ursachen haben:
Um die Aktivität von überaktiven Tyrosinkinasen zu hemmen, wurden verschiedene Medikamente entwickelt. Die ersten Generationen dieser Inhibitoren zielten darauf ab, die ATP-Bindungsstelle der Kinase kompetitiv zu besetzen. Dabei konkurrieren die Medikamente mit ATP um die Bindung an die Kinase und verhindern so die Signalübertragung.
Die Signaltransduktion in der Zelle fungiert über Energie und Energie in diesen Zellen ist das ATP (energiereiche Substanz, die von einem Molekül aufs andere übertragen wird). Bildlich gesprochen ist das ATP das Benzin der Zelle. Die Inhibitoren verhindern, dass das Benzin ins Auto gelangt, indem sie den Tankdeckel zuschrauben. Die Interaktion Benzin – Motor wird verhindert.
Neben den Tyrosinkinase-Inhibitoren gibt es auch andere Ansätze für die zielgerichtete Therapie, beispielsweise bei EGFR-positivem Lungenkrebs. Dazu gehören bispezifische Antikörper und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. Diese Medikamente funktionieren nach einem anderen Prinzip als die Tyrosinkinase-Inhibitoren um die Signalübertragung in den Krebszellen zu blockieren und das Wachstum der Tumore zu verhindern und erweitern das Spektrum der verfügbaren Therapieoptionen.
Weiterführendes zum Thema zielgerichtete Therapien bei Lungenkrebs:
Zielgerichtete Lungenkrebstherapien Treibermutationen Teil 2 >>
Zielgerichtete Lungenkrebstherapie Resistenzmutationen >>
Nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs >>
Bei der Immuntherapie werden bispezifische Antikörper eingesetzt. Diese Antikörper verbinden krebsspezifische Zellen mit dem Immunsystem, um das Immunsystem gezielt gegen den Krebs zu richten.
Die Antibody Drug Conjugates (ADCs) bestehen aus normalen Antikörpern, die mit Chemotherapie-Medikamenten ausgestattet sind. Man kann sich diese Struktur wie ein Y vorstellen, an dessen verschiedenen Stellen Chemotherapie-Medikamente angebracht sind. Die Antikörper binden an krebsspezifische Bindungsstellen an den Zellen. Dann passiert erst mal nicht viel, da Antikörper die Zelle nicht zum Selbstmord treiben können. Man muss darauf warten, dass die Zelle auf die Idee kommt, dieses trojanische reinzuholen und die Chemo in der Zelle freizusetzen.
ADCs werden bei verschiedenen Krebsarten eingesetzt und erfordern keine molekulare Testung. Sie werden oft als „smartere Chemotherapie“ bezeichnet, da sie gezielter wirkt, jedoch immer noch stark auf Chemotherapie basiert. Die Verabreichung erfolgt intravenös, da Antikörper die Magenpassage nicht überleben würden.
Dazu gehören die Serin/Threonin-Kinasen, wie beispielsweise STK11. Es gibt BRAF und MAP2K1. Je weiter man von der Zelloberfläche ins Zellinnere vordringt, desto seltener werden die Mutationen. Auf Rezeptorebene treten relativ viele Mutationen auf. KRAS sehr häufig, BRAF relativ selten, MAP2K1 im Promillebereich. Ganz nah am Zellkern gibt es kaum noch Mutationen. Ein weiterer Signalübertragungsweg, der bei Brust-, Darm- und Lungenkrebs verändert sein kann, ist der PI3K-Signalweg, der von den Rezeptoren und von KRAS initiiert wird. Praktische Erfahrungen mit zielgerichteten Therapien in diesem Bereich sind jedoch schlecht.
Bisher wurden nur aktivierende Treibermutationen angesprochen. Aber es gibt auch welche, die genau das Umgekehrte machen. Die Funktion dieser Gene war aber vorher tatsächlich den Tumor zu unterdrücken. Nun mutieren sie und werden dadurch in ihrer ursprünglichen Funktion inaktiviert. Wenn das Gen „ausgeknockt“ ist, entwickelt sich Krebs. Deshalb haben sie den Namen Tumorsuppressor-Gene bekommen, weil man davon ausging, dass sie in ihrer Normalfunktion der Krebsentstehung vorbeugen.
Die Tumorsuppressorgene werden in „Gatekeeper“ und „Caretaker“ unterteilt. Gatekeeper überwachen den Zellzyklus, während Caretaker dafür sorgen, dass beschädigte DNA repariert wird. Wenn Mutationen spontan auftreten, halten diese Gene den Zellzyklus an und versuchen, die Schäden zu reparieren oder die Zelle in den programmierten Zelltod (Apoptose) zu schicken. Fallen Tumorsuppressorgene aus, erhöht sich das Risiko für onkogene Mutationen. Da jedes Gen in zwei Kopien vorliegt, ist der Ausfall einer Kopie meist nicht problematisch. Erst wenn beide Kopien betroffen sind, entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs.
Ein Beispiel für Tumorsuppressorgene sind die BRCA-Gene bei Brustkrebs. BRCA ist sehr effektiv bei der Reparatur von DNA-Schäden. Einzelstrangbrüche werden von dem Enzym PARP bereinigt, während BRCA Doppelstrangbrüche repariert. Da inaktivierende Mutationen nicht direkt gehemmt werden können, versucht man einen Umweg zu gehen: Durch die Hemmung von PARP entstehen vermehrt Doppelstrangbrüche, die das defekte BRCA-System überfordern. Theoretisch sollte ein Funktionsausfall an einer Stelle zur Aktivierung an anderer Stelle führen, aber in der Praxis funktioniert dies nicht so gut wie erhofft.
TP53-Mutationen
TP53-Mutationen sind von zentraler Bedeutung für die Zellüberwachung. Das TP53-Gen hat viele Funktionen, darunter die Einleitung des programmierten Zelltods (Apoptose). Es gibt spezifische Formen dieser Mutationen, die inaktiviert oder mutiert sind. Es existieren Medikamente, die diese mutierten Gene wieder in ihre normale Funktion versetzen können. Diese Ansätze sind derzeit ein heiß diskutiertes Thema in der Forschung.
Die Nebenwirkungen von zielgerichteten Therapien bei Lungenkrebs können je nach eingesetztem Medikament variieren. Da diese Therapien sehr spezifisch bestimmte Proteine angreifen, hängt das Auftreten von Nebenwirkungen davon ab, inwieweit auch die nicht-mutierte Form, der sogenannte Wildtyp, gehemmt wird.
Beispielsweise kann die Hemmung des EGFR-Proteins, das eine wichtige Rolle in Haut und Muskeln spielt, zu Nebenwirkungen wie Muskelkrämpfen und Hautproblemen führen. Bei der Hemmung des MET-Proteins treten hingegen häufiger Flüssigkeitseinlagerungen auf. Andere TKIs können auch lebertoxisch sein.
Idealerweise sollten die eingesetzten Tyrosinkinase-Inhibitoren nur das mutierte Gen hemmen. Allerdings kann es vorkommen, dass auch das Wildtyp-Gen in gewissem Maße gehemmt wird. Dies liegt daran, dass sich manche Zielstrukturen ähneln, wie beispielsweise ALK- und ROS1-Fusionen oder EGFR und HER2.
In der Arzneimittelentwicklung wird jedoch stetig daran gearbeitet, die Spezifität der Inhibitoren zu erhöhen und unerwünschte Wirkungen auf ähnliche Strukturen zu minimieren. Aktuelle klinische Studien untersuchen bereits Inhibitoren für ROS1 und ALK, die eine sehr hohe Wirksamkeit auf die Zielstruktur bei gleichzeitig geringer Aktivität gegenüber anderen Kinasen aufweisen.
Die meisten Nebenwirkungen von zielgerichteten Therapien sind gut behandelbar. Während neurologische Nebenwirkungen schwieriger in den Griff zu bekommen sind, können beispielsweise Hautausschläge oft gut therapiert werden. Bei den erfolgreichsten zielgerichteten Therapien ist die Abbruchrate aufgrund von Nebenwirkungen relativ gering.
Es ist wichtig, schnell herauszufinden, welche Nebenwirkungen auftreten und wie man am besten damit umgehen kann. Studien haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Nebenwirkungen in den ersten Wochen am höchsten ist und sich im Laufe der Zeit normalisiert.
In manchen Fällen können die Nebenwirkungen so schwerwiegend sein, dass die Therapie vorübergehend pausiert oder die Dosis langfristig reduziert werden muss. Dies kann die Wirksamkeit der Behandlung beeinträchtigen, da die Wirkspiegel im Blut sinken und möglicherweise unter die therapeutisch wirksame Grenze fallen.
Es ist wichtig, Dosisanpassungen nur unter ärztlicher Aufsicht vorzunehmen und nicht eigenmächtig die Einnahme zu verändern. Eine unregelmäßige Einnahme oder eigenhändige Änderung der Dosis kann die Wirksamkeit der Therapie beeinträchtigen und zusätzliche Nebenwirkungen hervorrufen. Stattdessen sollte in Absprache mit dem behandelnden Arzt eine verträgliche Dosis gefunden und gegebenenfalls mit Begleitmedikation gegen spezifische Nebenwirkungen vorgegangen werden.
Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) zeigen bei etwa 80% der Patienten ein Ansprechen auf die Therapie. Jedoch gibt es auch Fälle, bei denen der Tumor von Anfang an nicht auf die Behandlung reagiert. Forscher untersuchen mögliche Ursachen für diese primäre Resistenz, wie Co-Mutationen oder andere Eigenschaften des Tumors. Es ist zu beachten, dass ein Tumor nicht nur aus Krebszellen besteht, sondern auch aus Gefäßen und anderen Strukturen. Daher kann es vorkommen, dass der Tumor trotz einer hochwirksamen Therapie nicht kleiner wird, sondern stabil bleibt. Diese Stabilisierung der Krankheit kann ebenfalls als Therapieerfolg gewertet werden und kann über mehrere Jahre anhalten.
Auch wenn TKIs anfangs wirksam sind, kann es im Laufe der Zeit zu einer sekundären Resistenz kommen. Dies kann nach einem, nach zwei oder sogar nach zehn bis fünfzehn Jahren der Fall sein. Der Grund dafür sind sogenannte Resistenzmutationen.
Eine häufige Ursache für die Resistenz ist die Veränderung der Bindungsstelle des TKIs. Diese sogenannten On-Target-Mutationen führen dazu, dass das Medikament nicht mehr an das Zielmolekül binden kann. Ein anschauliches Bild dafür ist ein verformter Tankdeckel, der nicht mehr auf den Tank passt. In solchen Fällen muss die Therapie geändert werden, da das ursprüngliche Medikament nicht mehr wirksam ist (Wenn der Tankdeckel nicht mehr passt, muss da ein neuer Deckel her).
Eine weitere Möglichkeit sind „Off-target-Mutationen„, bei denen sich der Tumor auf die Therapie einstellt, indem andere Signalübertragungswege hochgefahren werden. In diesem Fall kann die ursprüngliche Therapie beibehalten und zusätzlich ein weiteres Medikament eingesetzt werden, um diese alternativen Wege zu blockieren. Dadurch hätte der Patient im Endeffekt zwei Treibermutationen. In einer Zelle können maximal ein bis zwei onkogene Mutationen vorkommen, da ansonsten der Stress für die Zelle zu groß wäre. Wenn also eine Resistenzmutation als neuen Treiber identifiziert wird, besteht nicht die Sorge, dass noch viele weitere Mutationen hinzukommen.
Trotz der hohen Wirksamkeit von TKIs ist eine vollständige Heilung des Lungenkrebses nicht das primäre Ziel der Behandlung. Aufgrund der Komplexität der Erkrankung ist es nicht möglich, alle Krebszellen dauerhaft zu eliminieren. Stattdessen streben die Ärzte eine Chronifizierung des Tumors an, ähnlich wie bei anderen chronischen Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes. Das therapeutische Ziel ist es, den Patienten ein möglichst langes und bestmögliches Leben mit dem Tumor zu ermöglichen.