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Zielgerichtete Lungenkrebstherapien Treibermutationen Teil 1

Lungenkrebs ist eine der häufigsten und tödlichsten Krebsarten weltweit, doch die Fortschritte in der Krebsforschung eröffnen neue Möglichkeiten. Zielgerichtete Therapien, auch bekannt als personalisierte oder Präzisionsmedizin, revolutionieren die Behandlung von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs. Basierend auf der Identifikation spezifischer Treibermutationen in den Krebszellen, ermöglichen diese innovativen Ansätze eine maßgeschneiderte Behandlung für jeden Patienten.

Priv.-Doz. Dr. Matthias Scheffler

Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie an der Uniklinik Köln

Nicoline Ehrardt

Patientin und Patientenvertreterin, Vorstandsmitglied von ZielGENau e.V.

Inhaltsverzeichnis

Zielgerichtete Therapien, personalisierte Medizin und Präzisionsmedizin
  • Zielgerichtete Therapien nutzen spezifische Angriffspunkte in Krebszellen
  • Personalisierte Medizin berücksichtigt auch sozioökonomische und psychologische Faktoren
  • Präzisionsmedizin wird oft mit chirurgischen Eingriffen assoziiert
  • Begriffe werden meist synonym verwendet
Biomarker und Treibermutationen als Grundlage der zielgerichteten Therapie
  • Biomarker sind biologische Proteine oder Eigenschaften, die Krebszellen von gutartigen Zellen unterscheiden
  • Treibermutationen sind genetische Veränderungen, die das Verhalten von Zellen beeinflussen und spezielle Angriffspunkte für die Behandlung bieten
Unterschiede zwischen zielgerichteten Therapien und Immuntherapien
  • Zielgerichtete Therapien beziehen sich auf Vorgänge innerhalb der Krebszelle und setzen veränderte Proteine außer Gefecht
  • Immuntherapien nutzen das körpereigene Immunsystem zur Bekämpfung von Krebszellen, indem sie die Interaktion zwischen Tumor- und Immunzellen unterbrechen
Mutationen und Wildtyp
  • „Wildtyp“ bezeichnet Gene und Proteine in ihrer normalen, unveränderten Form (Proto-Onkogene)
  • Durch Mutationen können Proto-Onkogene zu Onkogenen werden, die das Krebswachstum fördern
Typen von genetischen Mutationen
  • Punktmutationen: Austausch einzelner Basen
  • Deletion: Entfernung mehrerer benachbarter Basen
  • Insertion: Einfügung zusätzlicher Basen
  • Fusion (Translokation, Rearrangement): Chromosomenbrüche und Neuanordnung
Vorkommen von Treibermutationen in unterschiedlichen Krebsarten
  • Beim kleinzelligen Lungenkrebs wurden bisher keine Treibermutationen nachgewiesen
  • Am häufigsten treten sie bei Adenokarzinomen (NSCLC) auf
  • Bei Plattenepithelkarzinomen sind Treibermutationen seltener
  • Nichtraucher mit Lungenkarzinomen weisen besonders häufig Treibermutationen auf
Treibermutationen beim Lungenkarzinom
  • Etwa die Hälfte der Patienten mit Adenokarzinom der Lunge weisen eine Treibermutation auf
  • Die häufigste onkogene Mutation ist KRAS (bis zu 30%), gefolgt von EGFR (etwa 10%)
Expression von Genen und Proteinen
  • „Expression“ bezieht sich auf die Aktivität von Genen und die Produktion von Proteinen
  • Nicht die Expression, sondern spezifische Mutationen sind für das Ansprechen auf die Therapie verantwortlich
Häufige behandelbare Treibermutationen und ihre Anteile
  • EGFR, HER2, ALK, ROS1, RET, NTRK, MET, KRAS, BRAF
  • Die Wirksamkeit der zielgerichteten Therapien hängt von der Lage und Art der Mutation ab
Mutationen bei anderen Krebsarten
  • Treibermutationen kommen auch in anderen Krebsarten vor (z.B. Glioblastom, Brustkrebs, Nierenzellkrebs)
  • Die Ursachen, warum bestimmte Mutationen in bestimmten Gewebetypen zu Krebs führen, sind noch nicht vollständig geklärt

Zielgerichtete, personalisierte und präzisionsmedizinische Therapien

Zielgerichtete Therapien sind Teil der Behandlungsoptionen für nicht-kleinzelligen Lungenkrebs. Diese Therapieformen werden oft auch als personalisierte oder Präzisionsmedizin bezeichnet, obwohl es feine Unterschiede gibt. Ursprünglich entstanden die zielgerichteten Therapien aus den Erkenntnissen der frühen 2000er Jahre. Dabei wurde festgestellt, dass Krebs nicht nur eine Bedrohung darstellt, sondern auch spezifische Angriffspunkte bietet, die therapeutisch genutzt werden können. Dies war noch bevor bekannt war, dass Mutationen eine Rolle spielen.

Personalisierte Medizin beinhaltet ein breiteres Konzept, das nicht nur genetische Veränderungen, sondern auch sozioökonomische und psychologische Faktoren des Patienten berücksichtigt. Hingegen wird Präzisionsmedizin oft mit chirurgischen Präzisionseingriffen assoziiert, was aus Sicht eines Internisten eine etwas irreführende Vorstellung sein kann. In der Praxis werden diese Begriffe meist synonym verwendet, wobei der Begriff der zielgerichteten Therapie am häufigsten genutzt wird.

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Biomarker und Treibermutationen: Grundlage der zielgerichteten Therapie

Biomarker

Biomarker sind biologische Proteine oder Eigenschaften, die an Tumorzellen bestimmt und quantifiziert werden können. Idealerweise kommen sie nur in Krebszellen vor und nicht im normalen Gewebe. Dies hilft, Krebszellen von gutartigen Zellen zu unterscheiden. Biomarker müssen nicht zwingend auf genetischer Ebene sein, sondern können auch auf der Zelloberfläche exprimiert werden. Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Marker ist die PD-L1-Expression bei soliden Tumoren oder die HER2-Expression bei Brustkrebs.

Treibermutationen

Treibermutationen bezeichnen genetische Veränderungen, die das Verhalten von Zellen beeinflussen. Diese Mutationen können zum Beispiel dazu führen, dass Zellen sich schneller teilen oder sich mehr durch den Körper bewegen. Der Nachweis von Treibermutationen ist somit zentral für die zielgerichtete Therapie, da sie spezielle Angriffspunkte für die Behandlung bieten. Im Gegensatz zu allgemeineren Therapieformen, die weniger spezifisch sind, ermöglicht die Identifikation von Treibermutationen einen zielgerichteten therapeutischen Ansatz.

Zielgerichteten Therapien versus Immuntherapien

Zielgerichteten Therapien (targeted therapies) und Immuntherapien spielen in der modernen Krebsbehandlung eine wesentliche Rolle, basieren jedoch auf unterschiedlichen Mechanismen.

Zielgerichtete Therapien

Zielgerichtete Therapien beziehen sich auf Vorgänge innerhalb der Krebszelle. Treibermutationen führen dazu, dass bestimmte Proteine in der Zelle verändert und oft aktiver sind. Medikamente, die im Rahmen einer zielgerichteten Therapie eingesetzt werden, gelangen in die Zelle, binden an diese veränderten Proteine und setzen sie außer Gefecht. Früher zählten auch Antikörpertherapien, wie z.B. VEGF-Antikörper, zu den zielgerichteten Therapien, bis man feststellte, dass diese oft nicht mit Mutationen zusammenhängen.

Immuntherapien

Immuntherapien nutzen das körpereigene Immunsystem zur Bekämpfung von Krebszellen. Lange Zeit war unklar, warum Immunzellen trotz ihrer Präsenz um den Tumor herum nicht gegen ihn vorgehen. Vor etwa zehn Jahren entdeckte man, dass Tumor- und Immunzellen auf molekularer Ebene über spezielle Oberflächenstrukturen miteinander kommunizieren. Diese Kommunikation signalisiert den Immunzellen oft, inaktiv zu bleiben. Immuntherapien setzen Antikörper ein, um diese Interaktion zu unterbrechen und die Immunzellen zur Bekämpfung des Tumors zu aktivieren. Im Gegensatz zu den kleinen Molekülen der zielgerichteten Therapien, die in die Zelle eindringen, verbleiben die großen Antikörper im Blut und entfalten keine direkte Wirkung gegen die Krebszellen.

Mutationen und Wildtyp

In Berichten zur Biomarker-Testung finden Patienten neben Informationen zu vorhandenen Mutationen auch Angaben zu Genen, die als „Wildtyp“ bezeichnet werden. Der Begriff „Wildtyp“ stammt aus der frühen Genetik und bezeichnet Gene und Proteine in ihrer normalen, unveränderten Form. Diese Gene, sogenannte Proto-Onkogene, sind in gesunden Zellen vorhanden und streng reguliert. Erst durch Mutationen können sie sich in Onkogene verwandeln, die das Krebswachstum fördern und aufrechterhalten. Wildtyp-Gene sind somit wichtige Bestandteile jeder Zelle, auch bei gesunden Menschen.

Typen von genetischen Mutationen

Genetische Mutationen treten in verschiedenen Formen auf, darunter Punktmutationen, Deletionen, Insertionen und Fusionsmutationen. Diese Mutationen finden auf der Ebene der DNA statt, wo die kleinsten Einheiten, die Basen, Veränderungen erfahren können.

Punktmutationen

Die kleinste Einheit der genetischen Veränderung sind Punktmutationen auf DNA-Ebene. Hierbei werden einzelne Basen ausgetauscht, ohne dass größere Abschnitte betroffen sind.

Deletion und Insertion

Bei der Deletion werden mehrere benachbarte Basen (z.B. fünf bis sechs) aus der DNA-Sequenz entfernt. Im Gegensatz dazu werden bei der Insertion zusätzliche Basen eingefügt. Beide Mutationsarten betreffen einen etwas größeren Bereich als Punktmutationen, finden aber immer noch auf molekularer Ebene statt.

Fusion (Translokation, Rearrangement)

Fusionen ereignen sich auf Chromosomenebene. Dabei können Chromosomen brechen und sich in neuer Form wieder zusammensetzen. Ein Beispiel hierfür ist die BCR-ABL Mutation bei chronischer myeloischer Leukämie, auch bekannt als das Philadelphia Chromosom. Bei Fusionsmutationen bleibt oft der aktive Teil des einen Bruchpartners normal, während der andere Partner zu einer verstärkten Aktivität führt, was dafür sorgt, dass die Kinase häufiger mit einer anderen Kinase interagiert.

Vorkommen von Treibermutationen in unterschiedlichen Krebsarten

Treibermutationen, auch als onkogene Mutationen bekannt, aktivieren bestimmte zelluläre Prozesse und sind daher in der Krebsforschung von großem Interesse. Sie sind jedoch nicht in allen Krebsarten gleichmäßig verteilt.

  • Beim kleinzelligen Lungenkrebs wurden bisher keine Treibermutationen nachgewiesen.
  • Am häufigsten treten sie bei Adenokarzinomen auf, einer Unterform des nicht-kleinzelligen Lungenkrebses (NSCLC). Adenokarzinome entstehen aus dem drüsenartigen Epithel der Lunge.
  • Bei Plattenepithelkarzinomen, die sich aus dem Epithelgewebe mit Schutzfunktion entwickeln, sind Treibermutationen seltener. Trotzdem werden alle NSCLC-Patienten auf solche Mutationen getestet.
  • Nichtraucher mit Lungenkarzinomen weisen besonders häufig Treibermutationen auf.

Im Gegensatz dazu finden sich Mutationen in Tumorsuppressorgenen, die zu einer verminderten Genaktivität führen, in allen Krebsarten. Ein Beispiel dafür ist die Mutation des Gens tp53. Da ihre Funktion bereits herabgesetzt ist, können Tumorsuppressorgene jedoch nicht weiter gehemmt werden.

Treibermutationen beim Lungenkarzinom

Häufigkeit von Treibermutationen beim Adenokarzinom der Lunge

Beim Adenokarzinom der Lunge weisen etwa die Hälfte der Patienten eine Treibermutation auf. Allerdings kommen manche Mutationen auch zusammen vor, wodurch sich der Anteil etwas reduziert. Die häufigste onkogene Mutation beim Lungenkrebs ist KRAS, die bei bis zu 30% der Patienten mit Adenokarzinom auftritt. Etwa 10% der Patienten in Europa haben eine EGFR-Mutation, die als „Mutter aller Treibermutationen“ gilt.

Erklärung des Begriffs "Expression"

Der Begriff „Expression“ bezieht sich auf die Aktivität von Genen in einer Zelle, die zur Produktion von Proteinen führt. Diese Proteine können auf der Zellebene mit speziellen Färbetechniken sichtbar gemacht und quantifiziert werden. Ein Beispiel hierfür ist das Protein PD-L1, dessen Präsenz auf der Zelle gemessen wird und wichtige diagnostische Informationen liefert.

Ursprünglich dachte man, dass die Expression von EGFR entscheidend für den Erfolg von EGFR-Inhibitoren sei. Später stellte sich jedoch heraus, dass nicht die Expression, sondern spezifische Mutationen im EGFR-Gen für das Ansprechen auf die Therapie verantwortlich sind.

Häufige behandelbare Treibermutationen und ihre Anteile

Neben EGFR gibt es weitere Treibermutationen, für die bereits Medikamente verfügbar sind:

  • HER2 (Punktmutation/Insertion)
  • ALK-Fusionen (2-3%)
  • ROS1-Fusionen (1-2%)
  • RET-Fusionen (Anteil nicht spezifiziert)
  • NTRK-Fusionen (sehr selten, im Promillebereich)
  • MET (Exon 14 Skipping Mutationen)
  • KRAS (sehr häufig, verschiedene Subtypen)
  • BRAF (spezifische Mutation, ähnlich wie beim schwarzen Hautkrebs)

Die Wirksamkeit der zielgerichteten Therapien nimmt tendenziell ab, je weiter die Mutation im Zellinneren liegt. Auch die Art der Mutation (Fusion vs. Punktmutation) kann die Wirksamkeit beeinflussen.

Mutationen bei anderen Krebsarten

Treibermutationen sind nicht exklusiv für Lungenkrebs, sondern können auch in anderen Krebsarten wie Glioblastom, Brustkrebs oder Nierenzellkrebs vorkommen. Die Ursachen dafür sind noch nicht vollständig geklärt und es bleibt unklar, warum bestimmte Mutationen in bestimmten Gewebetypen zu Krebs führen, während sie in anderen möglicherweise keine Rolle spielen. Manche Mutationen, wie BRCA beim Brustkrebs, führt in erster Linie zu Brustkrebs und nicht zu Lungenkrebs. ROS1-Fusionen wurden beispielsweise auch beim Pankreaskopfkarzinom gefunden, wo sie ähnlich gut auf die Therapie ansprechen wie beim Lungenkrebs.

Abschluss und Ausblick

Das Feld der Krebsgenetik und zielgerichteten Therapien entwickelt sich ständig weiter. Die zweite Folge dieser Reihe wird sich weiterführend mit Diagnosemethoden und therapeutischen Ansätzen beschäftigen.