Lungenkrebs ist eine der häufigsten und tödlichsten Krebsarten weltweit, doch die Fortschritte in der Krebsforschung eröffnen neue Möglichkeiten. Zielgerichtete Therapien, auch bekannt als personalisierte oder Präzisionsmedizin, revolutionieren die Behandlung von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs. Basierend auf der Identifikation spezifischer Treibermutationen in den Krebszellen, ermöglichen diese innovativen Ansätze eine maßgeschneiderte Behandlung für jeden Patienten.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Scheffler
Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie an der Uniklinik Köln
Nicoline Ehrardt
Patientin und Patientenvertreterin, Vorstandsmitglied von ZielGENau e.V.
Zielgerichtete Therapien sind Teil der Behandlungsoptionen für nicht-kleinzelligen Lungenkrebs. Diese Therapieformen werden oft auch als personalisierte oder Präzisionsmedizin bezeichnet, obwohl es feine Unterschiede gibt. Ursprünglich entstanden die zielgerichteten Therapien aus den Erkenntnissen der frühen 2000er Jahre. Dabei wurde festgestellt, dass Krebs nicht nur eine Bedrohung darstellt, sondern auch spezifische Angriffspunkte bietet, die therapeutisch genutzt werden können. Dies war noch bevor bekannt war, dass Mutationen eine Rolle spielen.
Personalisierte Medizin beinhaltet ein breiteres Konzept, das nicht nur genetische Veränderungen, sondern auch sozioökonomische und psychologische Faktoren des Patienten berücksichtigt. Hingegen wird Präzisionsmedizin oft mit chirurgischen Präzisionseingriffen assoziiert, was aus Sicht eines Internisten eine etwas irreführende Vorstellung sein kann. In der Praxis werden diese Begriffe meist synonym verwendet, wobei der Begriff der zielgerichteten Therapie am häufigsten genutzt wird.
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Mehr InformationenBiomarker sind biologische Proteine oder Eigenschaften, die an Tumorzellen bestimmt und quantifiziert werden können. Idealerweise kommen sie nur in Krebszellen vor und nicht im normalen Gewebe. Dies hilft, Krebszellen von gutartigen Zellen zu unterscheiden. Biomarker müssen nicht zwingend auf genetischer Ebene sein, sondern können auch auf der Zelloberfläche exprimiert werden. Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Marker ist die PD-L1-Expression bei soliden Tumoren oder die HER2-Expression bei Brustkrebs.
Treibermutationen bezeichnen genetische Veränderungen, die das Verhalten von Zellen beeinflussen. Diese Mutationen können zum Beispiel dazu führen, dass Zellen sich schneller teilen oder sich mehr durch den Körper bewegen. Der Nachweis von Treibermutationen ist somit zentral für die zielgerichtete Therapie, da sie spezielle Angriffspunkte für die Behandlung bieten. Im Gegensatz zu allgemeineren Therapieformen, die weniger spezifisch sind, ermöglicht die Identifikation von Treibermutationen einen zielgerichteten therapeutischen Ansatz.
Zielgerichteten Therapien (targeted therapies) und Immuntherapien spielen in der modernen Krebsbehandlung eine wesentliche Rolle, basieren jedoch auf unterschiedlichen Mechanismen.
Zielgerichtete Therapien beziehen sich auf Vorgänge innerhalb der Krebszelle. Treibermutationen führen dazu, dass bestimmte Proteine in der Zelle verändert und oft aktiver sind. Medikamente, die im Rahmen einer zielgerichteten Therapie eingesetzt werden, gelangen in die Zelle, binden an diese veränderten Proteine und setzen sie außer Gefecht. Früher zählten auch Antikörpertherapien, wie z.B. VEGF-Antikörper, zu den zielgerichteten Therapien, bis man feststellte, dass diese oft nicht mit Mutationen zusammenhängen.
Immuntherapien nutzen das körpereigene Immunsystem zur Bekämpfung von Krebszellen. Lange Zeit war unklar, warum Immunzellen trotz ihrer Präsenz um den Tumor herum nicht gegen ihn vorgehen. Vor etwa zehn Jahren entdeckte man, dass Tumor- und Immunzellen auf molekularer Ebene über spezielle Oberflächenstrukturen miteinander kommunizieren. Diese Kommunikation signalisiert den Immunzellen oft, inaktiv zu bleiben. Immuntherapien setzen Antikörper ein, um diese Interaktion zu unterbrechen und die Immunzellen zur Bekämpfung des Tumors zu aktivieren. Im Gegensatz zu den kleinen Molekülen der zielgerichteten Therapien, die in die Zelle eindringen, verbleiben die großen Antikörper im Blut und entfalten keine direkte Wirkung gegen die Krebszellen.
Weiterführendes zum Thema zielgerichtete Therapien bei Lungenkrebs:
Zielgerichtete Lungenkrebstherapien Treibermutationen Teil 2 >>
Funktionsweise zielgerichteter Lungenkrebstherapien >>
Nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs >>
In Berichten zur Biomarker-Testung finden Patienten neben Informationen zu vorhandenen Mutationen auch Angaben zu Genen, die als „Wildtyp“ bezeichnet werden. Der Begriff „Wildtyp“ stammt aus der frühen Genetik und bezeichnet Gene und Proteine in ihrer normalen, unveränderten Form. Diese Gene, sogenannte Proto-Onkogene, sind in gesunden Zellen vorhanden und streng reguliert. Erst durch Mutationen können sie sich in Onkogene verwandeln, die das Krebswachstum fördern und aufrechterhalten. Wildtyp-Gene sind somit wichtige Bestandteile jeder Zelle, auch bei gesunden Menschen.
Genetische Mutationen treten in verschiedenen Formen auf, darunter Punktmutationen, Deletionen, Insertionen und Fusionsmutationen. Diese Mutationen finden auf der Ebene der DNA statt, wo die kleinsten Einheiten, die Basen, Veränderungen erfahren können.
Die kleinste Einheit der genetischen Veränderung sind Punktmutationen auf DNA-Ebene. Hierbei werden einzelne Basen ausgetauscht, ohne dass größere Abschnitte betroffen sind.
Bei der Deletion werden mehrere benachbarte Basen (z.B. fünf bis sechs) aus der DNA-Sequenz entfernt. Im Gegensatz dazu werden bei der Insertion zusätzliche Basen eingefügt. Beide Mutationsarten betreffen einen etwas größeren Bereich als Punktmutationen, finden aber immer noch auf molekularer Ebene statt.
Fusionen ereignen sich auf Chromosomenebene. Dabei können Chromosomen brechen und sich in neuer Form wieder zusammensetzen. Ein Beispiel hierfür ist die BCR-ABL Mutation bei chronischer myeloischer Leukämie, auch bekannt als das Philadelphia Chromosom. Bei Fusionsmutationen bleibt oft der aktive Teil des einen Bruchpartners normal, während der andere Partner zu einer verstärkten Aktivität führt, was dafür sorgt, dass die Kinase häufiger mit einer anderen Kinase interagiert.
Treibermutationen, auch als onkogene Mutationen bekannt, aktivieren bestimmte zelluläre Prozesse und sind daher in der Krebsforschung von großem Interesse. Sie sind jedoch nicht in allen Krebsarten gleichmäßig verteilt.
Im Gegensatz dazu finden sich Mutationen in Tumorsuppressorgenen, die zu einer verminderten Genaktivität führen, in allen Krebsarten. Ein Beispiel dafür ist die Mutation des Gens tp53. Da ihre Funktion bereits herabgesetzt ist, können Tumorsuppressorgene jedoch nicht weiter gehemmt werden.
Beim Adenokarzinom der Lunge weisen etwa die Hälfte der Patienten eine Treibermutation auf. Allerdings kommen manche Mutationen auch zusammen vor, wodurch sich der Anteil etwas reduziert. Die häufigste onkogene Mutation beim Lungenkrebs ist KRAS, die bei bis zu 30% der Patienten mit Adenokarzinom auftritt. Etwa 10% der Patienten in Europa haben eine EGFR-Mutation, die als „Mutter aller Treibermutationen“ gilt.
Der Begriff „Expression“ bezieht sich auf die Aktivität von Genen in einer Zelle, die zur Produktion von Proteinen führt. Diese Proteine können auf der Zellebene mit speziellen Färbetechniken sichtbar gemacht und quantifiziert werden. Ein Beispiel hierfür ist das Protein PD-L1, dessen Präsenz auf der Zelle gemessen wird und wichtige diagnostische Informationen liefert.
Ursprünglich dachte man, dass die Expression von EGFR entscheidend für den Erfolg von EGFR-Inhibitoren sei. Später stellte sich jedoch heraus, dass nicht die Expression, sondern spezifische Mutationen im EGFR-Gen für das Ansprechen auf die Therapie verantwortlich sind.
Neben EGFR gibt es weitere Treibermutationen, für die bereits Medikamente verfügbar sind:
Die Wirksamkeit der zielgerichteten Therapien nimmt tendenziell ab, je weiter die Mutation im Zellinneren liegt. Auch die Art der Mutation (Fusion vs. Punktmutation) kann die Wirksamkeit beeinflussen.
Treibermutationen sind nicht exklusiv für Lungenkrebs, sondern können auch in anderen Krebsarten wie Glioblastom, Brustkrebs oder Nierenzellkrebs vorkommen. Die Ursachen dafür sind noch nicht vollständig geklärt und es bleibt unklar, warum bestimmte Mutationen in bestimmten Gewebetypen zu Krebs führen, während sie in anderen möglicherweise keine Rolle spielen. Manche Mutationen, wie BRCA beim Brustkrebs, führt in erster Linie zu Brustkrebs und nicht zu Lungenkrebs. ROS1-Fusionen wurden beispielsweise auch beim Pankreaskopfkarzinom gefunden, wo sie ähnlich gut auf die Therapie ansprechen wie beim Lungenkrebs.
Das Feld der Krebsgenetik und zielgerichteten Therapien entwickelt sich ständig weiter. Die zweite Folge dieser Reihe wird sich weiterführend mit Diagnosemethoden und therapeutischen Ansätzen beschäftigen.